Hamburg. .

Jennifer Teege hat die Kleinen in den Kindergarten gebracht und will noch eben ein Buch besorgen. Bei der Suche in der Hamburger Zentral-Bücherei bleibt sie bei einem Titel hängen. „,Ich muss doch meinen Vater lieben’, Die Lebensgeschichte von Monika Göth, Tochter des KZ-Kommandanten aus Schindlers Liste“, liest sie. In ihrem Kopf rattert es. Ihre leibliche Mutter heißt Monika Göth. Die 38-Jährige blättert atemlos, entdeckt Fotos von der Frau, die sie mit vier Wochen ins Kinderheim gab. Sie sieht Aufnahmen von ihrer Oma, zu der sie bis zum siebten Lebensjahr Kontakt hatte. In diesem Moment begreift sie, dass sie auf ihre eigene Familiengeschichte gestoßen ist. Sie weiß jetzt, wer sie ist: Jennifer Teege, geborene Göth, Enkelin von Amon Göth, KZ-Kommandant, Massenmörder. „Mein Großvater hätte mich erschossen“, sagt sie. Jennifer Teege ist dunkelhäutig.

Die geliebte Oma liebte den Sadisten

„Heute weiß ich, dass mir damals ein Schatz in die Hände gefallen ist“, sagt sie fünf Jahre später. Dieser Schatz war der Schlüssel zu ihrem Familiengeheimnis, das sie jahrelang an Depression leiden ließ. „Ich war ein abgelehntes Kind. Dieses Gefühl verlässt dich nie. Aber zumindest habe ich dann verstanden, warum das alles passiert ist.“

Als die Tochter der Deutschen Monika Göth und eines Nigerianers damals auf den Fluren der Bücherei begreift, dass sie auf ihr Familiengeheimnis gestoßen ist, taumelt sie. Warum hatte sie nicht bemerkt, dass der Schlächter in „Schindlers Liste“ ihr Opa ist? Jener Mann, der lächelte und pfiff, wenn er vom Töten kam. Jener Mann, der auf dem Balkon seiner Villa zum Frühsport Häftlinge erschoss. Hatten ihre Adoptiveltern, deren Namen sie angenommen hatte, sie angelogen? Warum hatte ihr die leibliche Mutter bei den seltenen Begegnungen nichts gesagt? Wie konnte die geliebte Oma einen Sadisten lieben?

Jennifer Teege fällt in ein tiefes Loch. Sie, die jahrelang in Israel studierte und Hebräisch spricht, hat einen Opa, der Juden ermordet hat. „Ich wusste nicht, wie ich das meinen israelischen Freunden erklären sollte“, erinnert sie sich. Das Leben schien ihr viele Zufälle zuzumuten. Zusammen mit der Journalistin Nikola Sellmair schreibt sie das Buch „Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen“. Sie reist nach Polen an die Orte, an denen ihr Großvater mordete. Sie sucht die Münchener Wohnung ihrer Großmutter auf, in der sie das letzte Mal im Alter von sieben Jahren war. Sie stellt den Kontakt zu ihrer Mutter her.

Über Monika Göth sagt Jennifer Teege heute: „Meine Mutter hatte selbst so viel mit sich zu tun, sie konnte sich nicht um mich kümmern.“ Denn auch Monika Göth erfuhr in der 60er-Jahren nur durch Zufall, wer ihr Vater wirklich war. In München hatte sie bei einem Arbeitskollegen die tätowierte KZ-Nummer am Arm entdeckt. Auf Nachfrage erfuhr sie, dass der Mann Häftling in Plaszow gewesen war und ihren Vater kannte: den Schlächter von Plaszow Amon Göth. Monika Göth hat diesen Vater, der 1946 zum Tode verurteilt wurde, nie kennengelernt.

Diese Erkenntnis rückt die in kindlicher Erinnerung gebliebene Oma in ein anderes Licht. Die Großmutter hieß Irene Kalder, hatte während des Krieges nahe Krakau gelebt und Amon Göth bei einem Essen mit Oskar Schindler kennengelernt. Sie wurde Göths Geliebte und zog in dessen Villa auf das KZ-Gelände Plaszow. „Ich habe meine Oma sehr gemocht“, sagt Jennifer Teege. Dieses Gefühl will sie bewahren. Obwohl sie es furchtbar findet, dass Irene Kalder Göths Nachnamen annahm – nach dessen Hinrichtung – und die Gräueltaten verklärte. Auch in ihrem letzten Fernseh-Interview mit einem britischen Historiker. Danach bringt sich Irene Göth um.

Irene Göth, Monika Göth – spätestens seit Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ weckten sie das Interesse von Historikern und Journalisten. Und so musste Jennifer Teege nach ihrem sensationellen Fund nicht lange suchen: Filme, Reportagen und Bilder – im Internet wurde sie sofort fündig. Sie fand Erklärungen dafür, warum ein Mann wie Amon Göth auch über seinen Tod hinaus soviel Einfluss hatte auf ihre Oma und die Mutter.

„Heute weiß ich, wer ich bin“

Dass Monika Göth sie, Jennifer Teege, verleugnete und nie erwähnte, bleibt ihr unerklärlich. Bis zu jenem Tag in der Hamburger Zentral-Bücherei hatte sie ein normales Leben geführt – Depressionen gehörten dazu. Es folgte ein Orkan und, „heute ist mein Leben gut, ohne Niedergeschlagenheit“, sagt die 43-Jährige. „Ich weiß, wer ich bin.“