Lampedusa/Rom/Berlin/Assisi. Nachdem vor der Küste von Lampedusa ein voll besetztes Flüchtlingsschiff gesunken ist, steigt die Zahl der Toten. Nicht nur in Italien fordern Politiker Konsequenzen. Der Papst spricht von einem “Tag des Weinens“, Bundespräsident Gauck fordert mehr Schutz für Flüchtlinge.

Nach der Katastrophe auf einem Flüchtlingsboot vor der italienischen Insel Lampedusa werden immer mehr Tote aus dem Mittelmeer geborgen. Mehr als 100 Leichen haben die Rettungskräfte inzwischen aus dem Wasser geholt. 155 überlebende Flüchtlinge, die zumeist aus Eritrea und Somalia stammen, seien aus der See gerettet worden. Die Behörden rechnen damit, dass mehr als 300 Menschen das Unglück nicht überlebt haben.

Die italienische Regierung ordnete wegen des Unglücks für Freitag eine eintägige Staatstrauer an. In den Schulen soll der Toten mit einer Schweigeminute gedacht werden. Auf Lampedusa blieben die Geschäfte geschlossen.

Bundespräsident Joachim Gauck hat angesichts des Flüchtlingsdramas vor Lampedusa an die Europäische Union appelliert, Flüchtlingen einen besseren Schutz angedeihen zu lassen. Leben zu schützen und Flüchtlingen Gehör zu gewähren, seien wesentliche Grundlagen der Rechts- und Werteordnung, sagte Gauck am Freitag in Berlin. "Zuflucht Suchende sind Menschen - und die gestrige Tragödie zeigt das - besonders verletzliche Menschen. Sie bedürfen des Schutzes. Wegzuschauen und sie hineinsegeln zu lassen in einen vorhersehbaren Tod, missachtet unsere europäischen Werte", sagte der Bundespräsident laut Redemanuskript.

Bundespräsident Gauck appelliert an die EU

Papst Franziskus sagte bei seinem Besuch in Assisi: "Heute ist ein Tag des Weinens". Sichtlich bewegt verurteilte der Papst "die Gleichgültigkeit gegenüber jenen, welche die Sklaverei, den Hunger fliehen, um die Freiheit zu suchen, doch stattdessen den Tod finden, wie gestern in Lampedusa". Franziskus hatte am Donnerstag im Vatikan gesagt, es könne nur als "Schande" bezeichnet werden, dass schon wieder Menschen bei einem solchen Unglück ums Leben gekommen seien. "Wir müssen uns zusammenschließen, damit diese Tragödien aufhören."

Italien ist im Schockzustand, Politiker fordern Konsequenzen. Sie verlangen ein Umdenken in der Einwanderungspolitik. "Wir werden laut unsere Stimme in Europa erheben, um die Regeln zu ändern, die die ganze Last der illegalen Einwanderung auf die Länder des ersten Eintritts abwälzen", sagte Innenminister und Vize-Regierungschef Angelino Alfano am Freitag dem TV-Sender Canale 5. Staatspräsident Giorgio Napolitano forderte eine Überprüfung der Gesetze.

Die Rettungsarbeiten am Unglücksort gehen weiter

Am Unglücksort gingen unterdessen die Rettungsarbeiten weiter. 111 Leichen waren bis zum Morgen aus dem Mittelmeer geborgen worden, Hunderte weitere Tote wurden befürchtet. "Das ist noch keine definitive Bilanz, weil Dutzende weitere Körper im Wrack des gesunkenen Bootes sind", sagte Alfano. Die Helfer hatten ihre Arbeit trotz schlechten Wetters die gesamte Nacht über fortgesetzt. Am Morgen erreichte eine Fähre mit Särgen für die Opfer die Insel.

Nur gut 150 der etwa 500 Menschen an Bord des Schiffes konnten am Donnerstag gerettet werden. Das voll besetzte Boot hatte vor der kleinen Insel Isola dei Conigli bei Lampedusa Feuer gefangen und war gekentert. Flüchtlinge hatten an Bord eine Decke angezündet, um Fischerboote auf sich aufmerksam zu machen, nachdem das Schiff einen Defekt gehabt hatte.

Das gesunkene Boot liegt etwa eineinhalb Meilen vor der Insel in rund 40 Meter Tiefe. Mehrere Taucher drangen bereits zu dem Wrack vor. "Es ist wie in einem Horrorfilm, da unten ist eine Masse von eingeklemmten Körpern, einer über dem anderen im Laderaum", sagte Taucher Rocco Canell der Nachrichtenagentur Ansa.

"Schande und Horror"

Staatspräsident Napolitano hatte bereits am Donnerstag eine Änderung der Gesetze gefordert. Eine schnelle Überprüfung von Normen, die eine Aufnahmepolitik verhinderten, sei nun notwendig, sagte er in einem Interview von Radio Vatikan. "Es ist auch eine Frage von Mitteln, eine Frage des Eingreifens, eine Frage von Verantwortung und eine Diskussion, die absolut nicht nur italienisch sein kann." Napolitano bezeichnete das Flüchtlingsdrama als "Schande und Horror".

Viele italienische Politiker forderten am Freitag mehr Unterstützung aus der EU. "Dieses Meer bildet die Grenze zwischen Afrika und Europa und nicht zwischen Afrika und Sizilien und deshalb muss sie mit Schiffen und Flugzeugen effektiver gesichert werden, als das momentan der Fall ist. So sinkt auch das Risiko von Toten", sagte Innenminister Alfano. "Das ist ein europäisches Drama." (rtr/dpa/afp)