Rom. .
Um sechs Uhr, ziemlich genau zum Sonnenaufgang, wollten sie die riesigen Hydraulikheber in Bewegung setzen, um das knapp 300 Meter lange Albtraumschiff „Costa Concordia“ aus 65 Grad Schräglage in die Vertikale zu drehen. Aber unter dem nächtlichen Donnerwetter über der Insel Giglio haben sie den Ponton mit der Kommandozentrale nicht installieren können. Die beiden „Nabelschnüre“ fehlen, die die Computerzentrale in ihrem Frachtcontainer und die Technik auf dem Wrack zu gemeinsamem, hochkomplexen Zusammenwirken verbinden sollen.
Und die Hilfsschiffe, die sich zur Eindämmung aller möglicherweise katastrophalen Begleiterscheinungen versammeln sollten, die müssen auch erst in Position gebracht werden. Um drei Stunden verzögert sich der Einsatzbefehl – aber unter den Technikern wächst die Entschlossenheit. 20 Monate haben sie auf diesen Punkt hingearbeitet. Jetzt wollen sie da durch.
Hydraulikheber mit einer Zugkraft von bis zu 23 800 Tonnen
Der Südafrikaner Nick Sloane (52), der seine 30-jährige Karriere in der weltweiten Schiffsbergung mit der Costa Concordia krönt, hat sich mit elf Spitzentechnikern in den Containern seiner Kommandozentrale eingeschlossen, die auf dem Ponton „Pollux“ vor dem Bug des Wracks schwimmt. In den Computern dort – koordiniert von einer deutschen Ingenieurin – laufen alle Fäden zusammen: Die tonnenschweren Ketten, die das Wrack am Abrutschen in tiefe Gewässer hindern und die Dutzenden von Stahllitzen, an denen die Hydraulikheber mit einer Zugkraft von bis zu 23 800 Tonnen anpacken.
Ein bis zwei Stunden, haben die Techniker vermutet, würden sie brauchen, um die Costa Concordia möglichst ohne Ruck von jenen zwei Granitspornen loszureißen, die in ihrer rechten Flanke stecken. Am Ende dauert die heikelste Phase der Bergung drei Stunden. Erst um 12 Uhr haben Nick Sloane und die Seinen die Gewissheit, dass das Schiff den seitlichen Zug als Ganzes mitmacht und nicht der Länge nach auseinanderbricht.
Und erst um 12 Uhr – da sind von den 65 Grad Drehung drei Grad geschafft – sehen die Beobachter tatsächlich eine Bewegung: Da tauchen einige im Salzwasser blind gewordene Fenster der Kommandobrücke auf, dann gähnen ganze Fenster- und Türhöhlen, finster, leer, von Tang verhangen, in die volle Herbstsonne. Und während ein leuchtend blaues Mittelmeer den rostenden Rumpf der Backbordseite gnädig den Blicken entzieht, tritt an der unendlich langsam auftauchenden Steuerbordflanke und an der Spaßbad-Landschaft auf dem Oberdeck von einst unverhüllt die blanke Zerstörung zu Tage.
Langsamer als gedacht geht es voran – auch wenn die Hydraulikzylinder pausenlos an den Stahlseilen ziehen. Nach zehn Stunden kriegen sie Hilfe. 20 von 65 Grad sind geschafft, da tauchen die elf Stahlcontainer ins Wasser ein, die an die linke Flanke des Schiffs geschweißt sind. Mächtig und hoch sind sie wie Wohnhäuser von sieben und elf Stockwerken. Um auf den steilen Flanken des Wracks arbeiten zu können, haben die Schweißer Klettern und Anseilen bei einer Spezialfirma aus den Alpen gelernt. Jetzt saugen die Container Meerwasser an. Sie werden schwerer, ihr Gewicht drückt die Steuerbordseite der Concordia hinab, genau um den Winkelbetrag, der zur Vertikalen fehlt. Diese sollte Mitternacht erreicht werden.
60 000 Tonnen Stahlund 263 000 Tonnen Wasser
Bewegt werden müssen nicht nur 60 000 Tonnen Stahl, sondern auch rund 263 000 Tonnen Wasser, die noch den Rumpf füllen. Verseucht von den Resten von all dem, was das Schiff damals zur Verpflegung von 3216 Passagieren und 1013 Besatzungsmitgliedern mitführte: 8200 Tonnen Rindfleisch, 11 300 Tonnen Fisch, ebenso viel Pasta, an die 7000 Liter Speiseeis und vieles mehr. Immerhin: Den Treibstoff haben sie schon bis auf von außen unerreichbare Restmengen lange abgepumpt.
Die rechte Flanke des Schiffs ist viel stärker beschädigt, als alle dachten. Wie will man da die elf oder 15 Stahlcontainer anbringen, um es zum Schwimmen bringen und im Frühjahr zum Abwracken transportieren zu können? Das weiß an diesem Montag keiner.