Essen. Peer Steinbrück zeigt den Stinkefinger. Und die Bedenkenträger der Republik stellen sich die bange Frage: Darf der das? Da sei die Gegenfrage erlaubt: Wieso denn nicht?! Stellt euch nicht so an!

Wer Peer Steinbrück nach seinem pannenträchtigen Wahlkampf schon aufgegeben hatte, sieht sich getäuscht. Man könnte geradezu auf den Gedanken kommen, der SPD-Kanzlerkandidat laufe zu immer besserer Form auf, je näher der Wahltag rückt. So langsam scheint Steinbrück die Sache tatsächlich Spaß zu machen. Er nähert sich der Hochform.

Zuerst punktete er mit Selbstironie und Schlagfertigkeit im direkten TV-Duell mit der Kanzlerin, dann machte er auch im direkten Dialog mit Zuschauern im Fernsehstudio eine gute Figur. Der sonst etwas hüftsteife Technokrat aus dem hohen Norden – er wirkt für seine Verhältnisse geradezu locker. Und nun das! Der Stinkefinger!!

"So was tut man nicht"? - Hallo! Das ist Ironie

Darf man als Spitzenpolitiker, so raunt es nun in den Internet-Foren, auf dem Titelblatt eines Magazins den Stinkefinger recken? Gehört sich das? Eine Person, die so in der Öffentlichkeit steht, müsse doch ein Vorbild sein. Wird der denn nie klug? Und die Moralapostel der Republik kontern Steinbrücks Stinkefinger mit dem mahnenden Zeigefinger: „So was tut man nicht!“

Nun mal halblang, Leute! Der Mittelfinger, den Coverboy Steinbrück dem Leser des Süddeutschen Magazins in Macho-Manier entgegenreckt, ist so offensichtlich eine ironisierende Pose für den Fotografen, dass jede Empörung voll daneben zielt. Wer, bitte schön, soll sich da etwas Schlechtes abgucken? Den Stinkefinger sieht heute längst jedes Schulkind auf dem Pausenhof. Und im Nachmittagsprogramm im Fernsehen sind Dinge zu sehen, gegen die ein gestreckter Mittelfinger geradezu lächerlich harmlos wirkt.

Wie's ausgeht, wird man am 22. September sehen

Ob Steinbrücks Pose peinlich ist? Unsinn! Zum Fremdschämen peinlich war Andrea Nahles' Pippi-Langstrumpf-Trällerei im Bundestag. Peinlich sind Rainer Brüderles kalkulierte Krawallreden. Steinbrücks Mittelfinger ist vielleicht gewagt, aber in jedem Fall ein gelungenes Stück Selbstironie.

Peer Steinbrück hat in den letzten Wahlkampf-Monaten eine Menge Hohn und Spott einstecken. Vieles davon hat e sich selbst eingebrockt, manches war auch ungerecht und übertrieben. Unser Mitleid muss er deshalb nicht bekommen. Aber gönnen wir ihm doch diesen kleinen Moment der Genugtuung. Denn was will uns Steinbrück mit seinem Stinkefinger sagen? Vielleicht das: „Ihr könnt mich alle mal. Ich hab das (Wahlkampf-)Ding auf meine Weise gemacht. Und auf meine Weise bring’ ich’s auch zu Ende.“ Und wie es ausgeht, werden wir erst noch sehen, am 22. September.

Deshalb: Daumen hoch für Steinbrücks Stinkefinger.