Angela Merkels offenherziger Auftritt zur Eröffnung der Staatsoper in Oslo hat ein großes Medienecho ausgelöst.Mutiges Modekonzept oder Fehltritt? Wir sprachen mit einer Stilberaterin über den Ausschnitt der Macht

Essen. Angela Merkel hat, rein modisch, längst große Wandel durchgemacht. Dank eines eleganten Bob' ist die Prinz-Eisenherz-Frisur gnädig in Vergessenheit geraten. Statt hängender Mundwinkel betont ihr Make-up das Blau der Augen. Nun also sollte endlich ein extravagantes Abendkleid Schluss machen mit einer Optik der Kanzlerin, die von der Modewelt gern als "bieder" beschrieben wurde.

In Oslo also zeigte sich Frau Merkel bei der Eröffnung der neuen Oper mit tiefem Dekolleté - und bewegt damit die Gemüter. "Darf sich Deutschland damit brüsten?" - so lasen sich süffig die Schlagzeilen. Bis auf türkische Titelseiten zog dieser Busen Kreise.

In der Bundespressekonferenz wurde der Vize-Regierungssprecher Thomas Steg gar zur Korrektheit des mächtigen Ausschnitts befragt. Wenn die Welt nichts Wichtigeres habe, pikierte er sich.

Die Verblüffung wirkt schon ein wenig gespielt. Denn dass Politiker nicht einfach anziehen können, was sie wollen, ohne dass es breit getreten wird, weiß nicht nur der Brioni-Kanzler. Spätestens seitdem Angela Merkel mit ihrer schwebenden Handtasche ("Clutch") in Bayreuth auftrat, kann sie ein Lied vom Medienecho singen. Jetzt also das Kleid in Oslo. "Ein absoluter Ausreißer", beschreibt es die Hamburger Stilberaterin Yvonne Goldenbow. "Es passt weder zu ihrem Alter noch zu ihrer Stellung." Goldenbow, deren Job es ist, die Abendgarderobe für Frauen im gehobenen Management auszusuchen, vergibt ihre schlechteste Note: "Frau Merkel sah verkleidet aus."

Die Bundeskanzlerin sei "eine schwere Persönlichkeit", die am Abend mit "klassisch-elegant" richtig liege. "Sie ist eine taffe Frau, aber keine femme fatale, auch wenn sie 20 Jahre jünger wäre und zehn Kilo leichter." Im Gegensatz übrigens zu Frau Bruni-Sarkozy, die beim Queen-Besuch ziemlich hoch geschlossen auftrat - und dennoch bis in die unsichtbare Kleinzehe weiblich wirkte.

Mit dieser Weiblichkeit sei es bei Merkel (53) schwierig. Goldenbow: "Sie wollte endlich mal als Frau wahrgenommen werden und nicht nur als Politikerin. Bei diesem Spagat ist sie komplett ausgerutscht."

Egal, was man im Leben tue - man sollte sich treu bleiben. Frau Merkel habe Stil, "auch wenn viele ihn nicht verstehen". Ihr Stil sei an sich in Ordnung - Hosenanzug, Abendkleid (gut bedeckt). "Aber sie ist ein Sommertyp. Sie muss kühle Farben tragen, nicht ihr geliebtes Apricot."

Wobei keineswegs alle mit dem Ausschnitt haderten. Es gab reichlich Stimmen in der Weltpresse, die die neue Weiblichkeit ausdrücklich hochleben ließen. "Merkel habe einen eigenen Modestil kreiert", lobte die "Welt". Merkels Hausschneiderin Anna von Griesheim habe für die Kanzlerin ein eigenes Modekonzept "Tagsüber Kostüm, abends Prinzesschen" entworfen.

Ob es allein das Ungewohnte ist, das die Hamburger Stilberaterin aufregt? Goldenbow ("Der Ausschnitt ist gut, aber es hätte ein quadratischer sein müssen, der den Busen optisch stoppt."): "Nein, in ihrem Geschäft ist Nacktheit ein Fehltritt." Frau Merkel sei sehr nackt gewesen - bis hin zu den Ohren. "Bei einem Abendkleid sind Ohrringe ein Muss."