Seine Single „Another Love“ kennen wir alle aus der aktuellen Werbekampagne der Telekom. Tom Odell füllt mit seinem ersten Album „Long Way Down“ eine Marktlücke, säuselt Popsongs mit Herzschmerz, aber ohne viel Kitsch. Der Engländer im Interview.
Der 22 Jahre alte Tom Odell, Sohn eines pensionierten Piloten und einer Grundschullehrerin aus dem südenglisches Chichester und seit einigen Jahren wohnhaft in London, füllt mit seinem Debütalbum „Long Way Down“ eine Marktlücke: Tom ist der Softie mit Interesse an und (einem gewissen) Erfolg bei Frauen. Von klein auf liebt und praktiziert er das Pianospiel, er verehrt Elton John, Jeff Buckley und Rufus Wainwright, aus seinen Popsongs tröpfeln Herzschmerz und Pathos, aber es gelingt ihm, seine Melodien nicht im Kitsch zu ersäufen. Eine reife Leistung also. Unter Vertrag genommen von Lily Allen für deren Label „In the Name of“ bekam Odell in diesem Jahr schon den „Critics‘ Choice Brit Award“ – als Nachfolger von unter anderem Emeli Sandé, Florence Welch und Adele sowie als erster Mann seit einer Ewigkeit. Wir sprachen mit Tom Odell, dessen Single „Another Love“ aktuell auch in in der großen „Telekom“-Werbekampagne zu hören ist, in Berlin.
Tom, ist Elton John dafür verantwortlich, dass du mit dem Klavierspielen angefangen hast?
Tom Odell: Piano spiele ich schon mein ganzes Leben lang, seitdem ich fünf oder sechs bin. Aber Elton war der Mensch, der mich zum Songschreiben inspiriert hat. Meine Eltern lieben ihn abgöttisch, und so liefen bei uns zu Hause immer seine frühen Klassiker wie „Goodbye Yellow Brick Road“. Ich war zwölf, und der Elton sorgte für so einen innerlichen Zwang bei mir, es selbst mit dem Komponieren zu versuchen.
Sehr zur Freude deiner Eltern, nehme ich an.
Odell: Meine Eltern sind ganz zufrieden mit mir. (lächelt) Ich hatte immer einen recht erwachsenen Geschmack, war auch früh ein sehr großer Bob-Dylan-Fan, und als ich etwas älter war, entdeckte ich Tom Waits. Ich war eines der ersten Kinder des Internetzeitalters, mit zehn bekam ich einen Internetanschluss, und ich fand es großartig, im Netz auf Entdeckungsreise nach toller Musik zu gehen.
Bist du online sehr aktiv und twitterst alles emsig in die Welt hinaus?
Odell: Nein, ich bin im Internet ziemlich zurückhaltend unterwegs. Mein Vater googelt mich jeden Tag und teilt mir dann mit, was er wieder alles gefunden hat. Ich sage ihm immer „Dad, lass es, die Leute schreiben so viel verrücktes Zeug“, aber das hält ihn nicht ab. Ich selbst mag Facebook zum Beispiel überhaupt nicht, das ist so invasiv, so aufdringlich. Ich will gar nicht wissen, was die Leute ständig so tun, und ich will auch nicht, dass die Leute wissen, was ich so tue. Ich mag es, ein bisschen meine Ruhe zu haben.
Dein Vater ist Pilot gewesen. War das auch dein Traumberuf?
Odell: Pilot ist ein cooler Beruf, und es kam mir mal kurz in den Sinn. Aber ich wusste einfach frühzeitig, dass Musik mein Ding ist. Bei den meisten anderen Sachen im Leben fühle ich mich eher unwohl und unsicher, ich bin zum Beispiel nicht gerne in Flugzeugen, und hasse es, auf Partys mit vielen Leuten herumzustehen. Doch beim Songschreiben und mit meinen Kumpels auf der Bühne geht es mir gut. Meine Eltern mussten mich auch nie drängen. Ich kam nachmittags aus der Schule und spielte zwei Stunden Klavier. Weil ich es liebte, nicht, weil es ich es musste.
Deine Lieder klingen sehr persönlich…
Odell: Du kannst mir glauben: Das sind sie auch. (lacht)
Hilft dir das Songschreiben, das Leben zu verstehen?
Odell: Ja, das ist wie eine Therapie. Oder wie Tagebuchschreiben. Ein Lehrer riet mir einmal, wenn ich nicht einschlafen könne, solle ich ein Blatt Papier nehmen und mein Problem aufschreiben. Dann sei es weg und ich könne endlich schlafen. So mache ich das seitdem wirklich, auch tagsüber. Wenn ich nachdenke oder aufgebracht bin, dann schreibe ich darüber.
Nicht viele Jungs schreiben Tagebuch.
Odell: Ich weiß, aber mir hilft es. Es tut mir einfach gut. Ich weiß, das ist so eine altmodische Sache, heutzutage haben die coolen Leute einen Blog, aber darüber haben wir eben ja schon gesprochen. Ich möchte meine Gedanken erst dann mit anderen Leuten teilen, wenn ich sie zu einem Song verarbeitet habe.
Du hast die Stücke auf deinem Album „Long Way Down“ im Alter von 18 bis 21 geschrieben. Sie klingen erstaunlich reif und erwachsen. Wann wusstest du, dass du Talent hast als Songschreiber?
Odell: Melodien fallen mir immerzu ein, das ist nicht schwierig. Ich setze mich ans Klavier, und irgendeine Idee ist schon da. Ich habe aber hart an mir gearbeitet, um ein besserer Texter zu werden und zu lernen, mich vernünftig zu artikulieren.
Wie hat Lily Allen dich entdeckt?
Odell: Ich habe in Brighton Musik studiert und habe mich danach nach London aufgemacht. Ich gab jahrelang winzige Konzerte in irgendwelchen Spelunken. Ein Freund eines Freundes meinte irgendwann, Lily Allen wolle mich kennenlernen. Wir trafen uns auf einen Drink und beschlossen, dass ich ein Album für ihr Label mache. Tja, und dann begann ich mein Leben als Einsiedler.
Wie sah das aus?
Odell: Ich schloss mich praktisch zehn Monate in einer winzigen Bude in East London ein und schrieb, was das Zeug hielt, anschließend nahm ich das Album gleich auf. Ich fürchte, ich wurde in der Zeit etwas verrückt. Ich war tagelang komplett alleine und hatte selbst das Gefühl, allmählich irre zu werden. Ich bin ein zurückhaltender Mensch, aber so viel Einsamkeit war selbst für mich ungewohnt.
Hattest du noch ein Sozialleben?
Odell: Ich hatte sogar eine Freundin zu der Zeit, aber dann brach das auseinander. Wirklich kein Wunder. Ich schenkte ihr zu wenig Aufmerksamkeit, aber es ging einfach nicht. Ich musste diese Platte aufnehmen, es war wie im Wahn.
Hast du das Mädchen wenigstens in einem Song verewigt?
Odell: Sogar in zweien. „Sense“ und „Til I lost“ handeln beide von ihr, von uns. Mann, Scheiße, du bist der erste, dem ich das erzähle. (fängt an zu singen): „I didn’t see the scene until I crossed / I didn’t see her love until I lost“. Manchmal laufen wir uns noch über den Weg, ein wunderbares Mädchen. Möglicherweise war es der größte Fehler meines Lebens, nicht um sie zu kämpfen, sie ziehen zu lassen.
Versuch sie doch zurückzugewinnen
Odell: Der Moment ist vorbei, das wird mir nicht mehr gelingen. Was für eine Schande. Ich schäme mich gerade ein bisschen. Vor allem: Während ich diese Songs schrieb, war mir schon bewusst, dass ich sie verlieren würde. Und ich tat nichts dagegen.
Von dir stammt das Zitat, dass du noch keine Beziehung länger als sechs Monate aufrechterhalten hast.
Odell: Ja, das ist wahr. Es ist komisch: Wenn ich glücklich bin mit einem Mädchen und verliebt, dann kann ich keine gute Musik schreiben. Songschreiben ist für mich: etwas reparieren, ein Problem lösen. Sachen müssen kaputt sein oder gerade zerbrechen, um ein Songwritergefühl zu bekommen.
Von wem handelt „Grow old with me“?
Odell: Das kann ich nicht verraten.
Und „Another Love“?
Odell: Nochmal über ein anderes Mädchen. Also, es war so: Ich traf dieses Mädchen und versuchte, sie für mich einzunehmen, weil ich sie echt mochte. Aber ich war noch zu sehr in ein anderes Mädchen von der Beziehung vorher verliebt. Ich konnte dem neuen Mädchen also nicht alles geben, was ihm Freude machte, nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient hätte, ich konnte es einfach nicht.
Ist aber auch ganz schön kompliziert mit der Liebe.
Odell: Du sagst es. Kennst du den Film „Der Stadtneurotiker“ von Woody Allen. Der beschreibt so eine ähnliche Situation. Woody Allen macht mit seiner Partnerin einen Ausflug aufs Land, alles ist total schön und romantisch, es gibt Hummer in der Küche, sie lachen, alles perfekt. Doch plötzlich endet die Beziehung. Ein Jahr später geht Woody Allen wieder dorthin, selber Ort, aber anderes Mädchen. Wieder essen sie Hummer und lachen. Doch man spürt ganz deutlich: Es ist überhaupt nicht dasselbe. „Another Love“ handelt also von diesem schrecklichen Gefühl, dass es mit dem neuen Mädchen nicht mehr so schön ist wie mit dem alten.
Du bist ganz schön romantisch für einen Jungen.
Odell: Ach, ja…ich weiß. Mädchen sagen mir das so selten, komisch. Aber ich bin wohl wirklich ein Romantiker.
Du giltst als Prototyp des neuen sensiblen Singer/Songwriters ohne Bart und Gitarre. Ist das ein Trend?
Odell: Ach, das weiß ich nicht. Sind Jungs, die zu ihren Gefühlen stehen und diese auch ausdrücken, ein Trend? Ja, vielleicht, ich glaube schon. Die ganze Gesellschaft verändert sich doch rasant. Mädchen bleiben nicht mehr bei frauenfeindlichen, fiesen Kerlen. Es gibt keine Jobs mehr, die sich nur für Männer eignen. Frauen sind im Schnitt klüger und besser ausgebildet und in jeder Hinsicht anspruchsvoller geworden. Die Zeit für den Alpha-Mann ist abgelaufen, er ist tot.
Gilt das auch für die Popmusik?
Odell: Dort ganz besonders. Lady Gaga, Beyoncé, Taylor Swift, alles Frauen. Beyoncé singt „We run the World, Girls“, Adele singt „Rolling in the Deep“, Taylor Swift „We are never ever getting back together“. Kannst du dir einen Justin Bieber vorstellen mit einem Song, in dem er singt „Hey Jungs, wir brauchen die Mädchen nicht, wir sind viel cooler als die.“? Er würde das vielleicht gerne, aber er käme niemals damit durch. Popmusik reflektiert, was los ist in der Welt. Frauen übernehmen die Verantwortung, und ich bin glücklich darüber, das ist super.
Ich nehme an, du selbst warst nie ein Alpha-Männchen?
Odell: Ich? Oh Gott, nein. Ich habe eine ältere Schwester, ein Alpha-Mädchen. (lacht) Sie hat jeden Ansatz eines Alpha-Männchens in mir zerstört, weil sie mich immer verhauen hat.