Fukushima. .

„Ich fürchte, wir sind in akuter Gefahr“, soll Masao Yoshida am Nachmittag des 11. März 2011 gesagt haben. Wenige Minuten, nachdem ein 15 Meter hoher Tsunami das japanische Atomkraftwerk Fukushima überflutet hatte und die Notstromgeneratoren, mit denen man die Kühlung der Brennstäbe seit dem Erdbeben eine knappe Stunde zuvor mühsam aufrecht hielt, ihren Dienst versagten. „Ich fürchte, wir sind in Gefahr“, sagte Yoshida, während die ersten Explosionen bereits zu hören, die ersten Toten bereits zu beklagen sind. „Aber lasst uns ruhig bleiben und erst einmal durchatmen.“ Dann schickte der hochgewachsene Mann, der das havarierte Atomkraftwerk seit Juni 2010 leitete, seine Leute heim. Alle, bis auf 50. Deren Namen, ordnete er an, seien auf eine weiße Wand im Erdbebenbunker zu schreiben – ein Grabstein inmitten der Hölle.

Am Dienstag starb Masao Yoshida (58); der Mann im weißen Overall, der die Aufräumarbeiten nach der Nuklear-Katastrophe koordinierte; der Mann, den sie „Held von Fukushima“ nannten.

Er verhinderte eine nochschlimmere Katastrophe

Bevor Yoshida zum internationalen Helden wurde, wurde er offiziell gemaßregelt: weil er sich den Befehlen seiner Vorgesetzten, angeblich sogar denen des japanischen Premierministers, widersetzt hatte, was in Japan wohl noch mehr Mut erfordert als anderswo. Denn der in Osaka geborene Atomingenieur ließ am Tag nach dem Unglück Unmengen von Meerwasser zur Kühlung in die Reaktorblöcke pumpen; wohlwissend, dass dieses sie irreparabel schädigen würde. Diese Entscheidung, so weiß man heute, verhinderte weitere Kernschmelzen, eine noch furchtbarere Katastrophe.

Reportern der New York Times zeigte der Energiekonzern Tepco, Betreiber des Atomkraftwerks Fukushima, im vergangenen Jahr ein Video aus dem Bunker, in dem Yoshida Stellung bezogen hatte. Es zeige, schreiben sie, wie der Werksdirektor inmitten des absoluten Chaos’ rasch und ruhig mit lauter Stimme klare Anordnungen traf, wie er seine tapfere Mannschaft antrieb und ermunterte. Aber auch, wie er sich unter Tränen bei denen entschuldigte, die er in die radioaktiv verseuchten, tödlich-gefährlichen Bereiche schicken musste. „Sie waren es, die alles taten, was sie konnten“, sagte Yoshida später in einem Interview, bescheiden darum bemüht, die eigene Bedeutung herunterzuspielen: „Ich tat nichts, ich schaute zu.“

Nicht einen Moment lang habe er überlegt, seinen Arbeitsplatz zu verlassen, erinnerte sich der dreifache Vater im selben Interview. „Ich dachte, wir würden alle sterben. Aber ich dachte niemals daran wegzulaufen.“

Vorwurf: Nicht für ausreichenden Tsunami-Schutz gesorgt

Nach dem Unglück warf man dem Ingenieur trotzdem vor, selbst daran Schuld zu tragen – weil er nicht für einen ausreichenden Tsunami-Schutz des Atommeilers gesorgt habe. Er entschuldige sich dafür, erklärte Yoshida ohne Umschweife. Er sei „zu lax“ gewesen, habe sich nicht vorstellen, können, dass ein Tsunami diese Gewalt haben könne. Dass das Erdbeben, das die riesige Welle auslöste, das bislang schwerste in der Geschichte Japans war, sagte er nicht.

Im November 2011 verließ Masao Yoshida Tepco, den Konzern, der ihm 33 Jahre lang Arbeitgeber gewesen war. Da war er bereits ein schwer kranker Mann. Dass er an Speiseröhrenkrebs litt, versuchte Yoshida erfolglos geheim zu halten. Er werde kämpfen, um bald zurück zu sein und weiter zu helfen, sagte er seinen Leuten bei einem letzten Besuch in Fuku­shima.

Tepco würdigte Masao Yoshida gestern als den Mann, „der sein Leben riskierte, um das Werk zu beschützen“. Ein Zusammenhang zwischen seiner Erkrankung und der nuklearen Katastrophe sei allerdings „extrem unwahrscheinlich“.