Berlin.
Diese Augen werden die Angeklagten vermutlich nicht vergessen: Mit geradem Blick fixiert Tina K. jeden der sechs Angeklagten im Berliner Gerichtssaal. Wenn einer der Anwälte eine Erklärung verliest, dreht sich die Schwester des getöteten Berliners Jonny K. auf ihrem Stuhl in Richtung des jungen Mannes, in dessen Namen die Worte vorgetragen wurden. Ihr Gesicht bleibt unbeweglich.
Der Prozess um den gewaltsamen Tod des 20-jährigen Jonny K. war mit Spannung erwartet worden. Sechs Tatverdächtige hat die Staatsanwaltschaft ermittelt. Zwei von ihnen, Onur U. und Bilai K., waren in die Türkei geflüchtet und hatten sich erst im Frühjahr den deutschen Behörden gestellt. Seit Montag müssen sich die 19 bis 24 Jahre alten Männer nun vor dem Landgericht Berlin verantworten. Körperverletzung mit Todesfolge und gefährliche Körperverletzung wirft ihnen die Staatsanwaltschaft unter anderem vor.
Gegenseitige Schuldzuweisung
An einem frühen Sonntagmorgen im Oktober vergangenen Jahres war es zwischen ihnen und vier anderen jungen Leuten zu einem Streit in der Nähe des Berliner Alexanderplatzes gekommen. Dabei wurden Jonny K. und dessen Freund Gerhard C. schwer verprügelt. Jonny K. erlag später den schweren Kopfverletzungen, die ihm durch Tritte zugefügt worden waren. Der Fall schockierte deutschlandweit – auch weil Jonny K. offenbar einem Freund helfen wollte, der von einem der Angeklagten attackiert worden sein soll.
Am ersten Prozesstag wiesen die sechs Angeklagten sich gegenseitig die Schuld zu. Zwar räumten alle ein, an der Prügelattacke beteiligt gewesen zu sein, doch die Verantwortung für die tödlichen Tritte gegen Jonny K. übernahm keiner.
Der Hauptverdächtige Onur U. bestritt gänzlich, Jonny K. getreten zu haben. Der Angeklagte Bilai K. erklärte, er habe Jonny K. in dem Streit nur „einen Tritt an den Oberschenkel“ versetzt. In Erklärungen von zwei weiteren Angeklagten wurde Bilai K. jedoch beschuldigt, mehrfach auf Jonny K. eingetreten zu haben. Tina K., die Schwester des Toten, sagte, ihre Eltern hätten den Weg ins Gericht nicht ertragen, doch sie habe in die Augen der Angeklagten blicken wollen. Auf die Frage, was sie dort gefunden habe, antwortete sie: „Nichts, völlige Leere.“