Rio de Janeiro. . Die Stadt am Zuckerhut kämpft mit Großereignissen wie dem Weltjugendtag, der Fußball-WM und den Olympischen Spielen gegen das schlechte Image der Vergangenheit. Von Dienstag bis Donnerstag besucht Bundespräsident Joachim Gauck die zweitgrößte Metropole Brasiliens.

König Fußball oder der liebe Gott? Wer für die Brasilianer an erster Stelle steht, ist in dem gläubigen wie sportverrückten Land längst nicht entschieden. Und zumindest in Rio, wo am Dienstag Bundespräsident Joachim Gauck zu einem knapp dreitägigen Besuch erwartet wird, darf die Frage auch ruhig offen bleiben - schließlich fügt sich doch alles ganz wunderbar zusammen: In einem Monat beginnt der Confederations-Cup, die Generalprobe für die WM 2014, in Rios legendärem Maracanã-Stadion. Und Ende Juli pilgern zwei bis drei Millionen junge Katholiken aus aller Welt zum Zuckerhut, um bei einem der größten Weltjugendtage der vergangenen Jahre mit dem neuen Papst Franziskus zu feiern.

Eine Party jagt die nächste – nach der WM folgen Rios 450. Stadtgeburtstag und die olympischen Spiele im Sommer 2016. Großereignisse angesichts derer der Besuch des deutschen Bundespräsidenten kaum einen Carioca auf die Straße locken dürfte. Die deutschen Kicker stehen da schon höher im Kurs. „Bayern? Borussia?“ bekundet selbst der Grenzschützer am Flughafen sein Interesse am fernen Champions-League-Finale, als er den deutschen Pass überprüft.

Palmen und Sandstrand an der Copacabana
Palmen und Sandstrand an der Copacabana © REUTERS

Rio will die „Hauptstadt der globalen Mega-Events“ sein – und für die kommenden Jahre scheint dieses Konzept aufzugehen. Das Image der verblassten Jet-Set- und Globetrotter-Destination mit massivem Drogen- und Sicherheitsproblem, das Rio zuletzt anhing, kontert die mit spektakulären Bergen und Buchten gesegnete Küstenstadt durch Massen-PR in eigener Sache.

Doch bevor im kommenden Sommer zig Millionen Fußballfans rund um den Globus die Live-Übertragungen verfolgen, sollen die jungen Christen das positive Bild Rios in die Welt tragen. Gegenüber den erwarteten Besuchermassen gibt man sich betont gelassen. „Rio durchlebt eine ,goldene Epoche’“, sagt der Logistikchef des Weltjugendtags, Padre Omar mit Blick auf die anstehenden Großveranstaltungen. So dürften dem Papst Ende Juli beim Weltjugendtag-Auftakt an der Copacabana mindestens so viele Fans zujubeln, wie die Hunderttausende, die Weihnachten zum Gratiskonzert mit Steve Wonder an Rios Traumstrand kamen.

Padre Omar, der Logistikchef des Weltjugendtags in Rio. Er rechnet mit mehr als zwei Millionen Teilnehmern.
Padre Omar, der Logistikchef des Weltjugendtags in Rio. Er rechnet mit mehr als zwei Millionen Teilnehmern. © Bastian Henning/Adveniat

Brasilien hat sich vom Dasein als Entwicklungsland verabschiedet, ist auf dem besten Weg, fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt zu werden – und will diesen Aufschwung der Welt und der eigenen Bevölkerung präsentieren.

„Wir wollen zeigen, dass wir mit solchen Events umgehen können“, sagt Padre Omar, der neben seinem Logistik-Job sonst für den großen „Cristo Redentor“ hoch über der Stadt zuständig ist. „Die Mobilität“ sei beim Weltjugendtag die größte Herausforderung, sagt er. Schließlich seien für die Pilgermassen allein rund 25 000 Busse zu managen – hintereinander geparkt ist das in etwa die Strecke Wesel-Frankfurt.

Dass Padre Omar nicht zunächst ein Sicherheitsproblem sieht, ist kein Zweckoptimismus. Verriegelte man aus Angst vor Überfällen noch vor wenigen Jahren im Stau auf der Stadtautobahn lieber die Türen, kann man sich mittlerweile zumindest tagsüber in vielen Bereichen Rios halbwegs unbesorgt bewegen. Das hat auch mit der Befriedungspolitik zu tun, mit der Rios Regierende seit einigen Jahren auf die Drogen- und Gewaltproblematik reagieren.

Bianca Santana, von der Befriedungspolizei in Rio de Janeiro
Bianca Santana, von der Befriedungspolizei in Rio de Janeiro © Bastian Henning/Adveniat

Das Prinzip: Unter medienwirksamem Getöse rückt Polizei in die von Drogenbanden beherrschten, meist vor vielen Jahren illegal errichteten Favela-Siedlungen. Die Gangster fliehen (und betreiben ihre Geschäfte in anderen Landesteilen weiter) – und statt der gefürchteten, zumindest in Teilen korrupten Militärpolizei rückt die „Policia Pacificadora“ (UPP) nach, die spezielle Befriedungspolizei.

„Ein anderes Leben ist möglich“

„Unsere Arbeit besteht auch darin, den Kindern hier zu zeigen, dass ein anderes Leben möglich ist“, sagt Bianca Santana – ein anderes Leben als das eines Drogendealers oder Kleinkriminellen. Die 34-Jährige ist eine der UPP-Polizistinnen in der Favela Morro dos Prazeres, deren Häuser sich gleich unterhalb des Cristo den Hang hinauf ziehen. Hausbesuche, Prävention und Gespräche mit den Anwohnern sind die Stichworte, mit denen sie ihre Arbeit umschreibt – andere Töne als die auch vom Staat jahrelang praktizierte Gewalt.

Sicherer ist das Leben in Rio damit auf jeden Fall geworden. Doch ob nun eine bessere soziale Situation folgt? In Morro dos Prazeres fehlt auch eineinhalb Jahre nach der Befriedung immer noch ein Gesundheitsposten. Und auf dem Hügel gegenüber, in Morro do Fogueteiro, erinnert man sich noch lebhaft und gerne an die Zeit, als die Drogenbosse den Bau der Kapelle bezahlt haben und die Energieversorger sich noch nicht in die Favela trauten, um Stromzähler aufzuhängen. Doch unterm Strich sei es „heute schon ein ganz anderes Lebensgefühl“, betont die 84-jährige Laudolina Gaudino dos Salves. Anstatt sich vor Schießereien in Acht zu nehmen, „kann man frei herumlaufen, vor allem auch nachts“.

Oft beherrschen Kinder das Straßenbild in Rios Favelas – wie hier in Morro do Fogueteiro.
Oft beherrschen Kinder das Straßenbild in Rios Favelas – wie hier in Morro do Fogueteiro. © Bastian Henning/Adveniat

Wie es langfristig mit den rund 1000 Armensiedlungen weitergeht, ist unklar. Befriedet sind erst rund 30 – und diese fast ausnahmslos im reichen Süden der Stadt. Wer den sensationellen Ausblick von Morro dos Prazeres auf Rios Buchten sieht und weiß, dass es für kaum ein Haus der Favela einen Eigentumstitel gibt, der braucht nicht viel Fantasie, sich diesen Hügel als „sanierte“ Siedlung mit Luxusappartements vorzustellen.

Den vier Jungs, die nebenan in der Favela-Sporthalle Fußball spielen, ist das noch ziemlich egal. Eine Karriere als Profifußballer, davon träumt hier fast jeder. Beim spontanen Kick gegen vier Deutsche unterliegen die Jungs knapp. Das könnte Hoffnung für die WM machen – wenn die vier Deutschen nicht im Schnitt 25 Jahre älter wären.