Washington.

Auf der Internet-Seite der amerikanischen Firma „Keystone Sporting Arms“ gibt es einen Bereich, der mit europäischen Augen betrachtet ein mulmiges Gefühl auslöst: „Mein erstes Gewehr“ lautet die Überschrift.

Fotos sind dort zu sehen von kleinen Jungen und Mädchen, viele noch Babys, andere nicht älter als vier oder fünf. Sie halten Gewehre im Anschlag, zielen wie Scharfschützen und lächeln stolz in die Handy-Kameras ihrer Eltern.

Das in Milton/Pennsylvania ansässige Familien-Unternehmen hat dazu eine Liste von Kundenbriefen gestellt, in denen sich Väter und Mütter aus dem ganzen Land euphorisch über Qualität, Zielgenauigkeit und Handhabbarkeit der unter den Etiketten „Grille“ und „Streifenhörnchen“ verkauften Produkte äußern.

Stephanie und Chris Sparks aus Burkesville/Kentucky dürften furchtbare Zweifel beschleichen, ob der Einkauf bei Keystone richtig war. Ihr fünfjähriger Sohn Kristian hat am Dienstag mit seiner „Grille“ seiner Schwester Caroline in die Brust geschossen. Am heutigen Freitag wird die Zweijährige beerdigt.

Nein, kein Tippfehler. Ein 5-Jähriger tötet eine 2-Jährige. Mit einem legal im Handel erhältlichen Gewehr. Hört denn der Wahnsinn mit den Waffen in Amerika niemals auf?

Nach Berichten von Gerichtsmediziner Gary White kam die Tragödie so zustande: Stephanie Sparks stand gerade auf der Veranda ihres Wohnwagen-Trailers, als ein Schuss die Stille in der ländlichen Gegend rund 150 Kilometer nordöstlich von Nashville zerriss. In Panik lief die junge Mutter, Vater Chris war auf der Arbeit, wieder zurück. Und fand ihr jüngstes Kind mit zerschossenem Oberkörper am Boden. Daneben Kristian mit seiner „Grille“, ein Geschenk der Eltern aus dem vergangenen Jahr.

Wie die Polizei feststellte, steckte in der Waffe vom Kaliber 22, die im Wohnzimmer in der Ecke stand, noch eine scharfe Patrone von 5,6 Millimetern. Groß genug, um damit einen Menschen zu töten.

Warum hat ein Knirps, der seit Kurzem erst geradeaus laufen kann, Zugang zu scharfen Waffen? Müssen die Eltern nicht zwingend wegen krimineller Vernachlässigung ihrer Fürsorgepflicht angeklagt werden? Wie kann es überhaupt sein, dass es einen legalen Markt für scharfe Waffen für Kinder im Vorschulalter gibt?

In Burkesville, einer 1800-Seelen-Gemeinde mitten im Bourbon-und-Whiskey-Bundesstaat Kentucky gelegen, stellt man solche Fragen nicht. Sätze wie „Waffen gehören nicht in Kinderhände“ lösen hier Kopfschütteln aus. „Hier lernen die Kinder das Schießen, bevor sie schwimmen und mit Messer und Gabel essen können“, erklärt ein Waffen-Forscher der American-University in Washington, „sonntags geht man in die Kirche und danach auf die Jagd. Über Generationen wird der Waffenkult gepflegt und behütet. Das ist wie Radfahren.“

Nicht ohne Grund sei der Widerstand gegen schärfere Waffengesetze, wie sie die Politik in Washington nach dem Schulmassaker von Newtown im vergangenen Dezember propagiert, im Süden am stärksten.

Noch vor der Autopsie sprach John Phelps, der Gerichtsbezirksbeamte von Cumberland, von einem „tragischen, seltenen Unfall“. Strafrechtliche Konsequenzen für wen auch immer? Bislang keine vorgesehen. Robert Damron, Demokrat und Abgeordneter aus Kentucky, gibt die Mehrheitsmeinung wieder: „Das Problem sind nicht die Waffen. Es sind Menschen, die damit nicht vernünftig umgehen.“

80 Tote pro Tag in den USA sprechen für sich. In der jüngsten Zeit häuft sich die Unvernunft. Und Unachtsamkeit von Erwachsenen macht aus Kindern Killer. In Alaska erschoss vor wenigen Tagen ein Achtjähriger seine Schwester (5). Ein Drei- und ein Siebenjähriger in South Carolina und Kansas richteten sich aus Versehen selbst.

Keystone, der Hersteller der Kinder-Gewehre, hat bisher zum Vorfall in Kentucky geschwiegen. Von vier Angestellten und 4000 Gewehren Mitte der 90er-Jahre hat sich die Firma auf eine 70-köpfige Belegschaft hochgearbeitet, die jährlich 60 000 Schießprügel für den Nachwuchs herstellt. „Keystone Sporting Arms“ legt im Netz Wert auf die Feststellung, dass die Produkte mit einer „Kindersicherung“ versehen sind, die einem Schloss gleicht, und einen wertvollen Beitrag dazu leisten, dass Kinder an den „verantwortungsvollen Gebrauch“ von Waffen herangeführt werden sollen. Für Mädchen werden die Gewehre pink lackiert.