Hagen. .
Da steht er nun und wartet, dass noch jemand kommt. Lang ist das ergraute Haar, unrasiert das Kinn. Und zu verschlissenen Jeans trägt Joachim Masannek Turnschuhe und T-Shirt, in dessen Kragen die Lesebrille steckt. „Also wir haben mehr Karten verkauft, als Leute bisher da sind“, versichert die Frau von der Hagener Stadtbücherei mit beruhigender Stimme. Aber Masannek winkt ab. Er weiß, wie schwierig es ist, junge Leute zu einer Lesung zu bringen. Vor allem an Tagen wie diesen, an denen die Luft erstmals seit Wochen wieder mild ist und die Sonne von einem wolkenlosen Himmel scheint. „Eigentlich lese ich ja nur noch an Schulen“, sagt der 52-Jährige. „Da kommen die Kinder gern, weil der Unterricht ausfällt und sie sind bereit, sich auf Bücher einzulassen.“
Aber er darf sich ja nicht beschweren. Gerade er nicht. Einer, der der deutschen Jugend wilde Kerle gebracht hat. Abenteuer erleben die alle und treiben auch mal Unfug. Zu Lesungen gehen sie eher selten.
„Kinder wollen frei sein, aber wir lassen sie nicht“
Immerhin scheinen sie noch selbst zu lesen. Schließlich haben sich die Bücher der Wilden Kerle im letzten Jahrzehnt millionenfach verkauft und laufen immer noch ganz gut. „Es ist halt nichts nachgekommen, was die Kerle ersetzen könnte“, glaubt Masannek. Die insgesamt fünf Filme, bei denen er selbst Regie geführt hat, haben der Popularität der unangepassten Kicker auch nicht gerade geschadet. Und es ist ja auch ganz einfach, ein wilder Kerl zu werden. „Theoretisch braucht man nur ein schwarzes Trikot und einen Ball.“
Praktisch müssen auch die Eltern mitspielen. Das tun sie oft nicht, wie Masannek weiß. Er hat zwar Germanistik und Philosophie studiert, bevor in seiner Zeit als Fußball-Jugendtrainer die erste Idee zur Buchreihe reifte, mittlerweile aber hält er Vorträge über Kindererziehung. In denen warnt er davor, den Nachwuchs „in Watte zu packen“. „Kinder wollen frei sein, aber wir ermöglichen ihnen das nicht.“
Ist ja auch nicht einfach. Selbst für ihn nicht. „Ich werde ja auch schnell nervös, wenn meine kleine Tochter im Park außer Sichtweite gerät.“ Weil die Welt hektischer geworden ist und die Gesellschaft anonymer. „Man kümmert sich nicht mehr so um andere.“ Vor allem aber weil „alle Kinder machen wollen, was sie eigentlich nicht dürfen“. Blödsinn, Unfug, Quatsch. Das macht Eltern vorsichtig. Manchmal sogar Masannek, selbst wenn er gerne sagt: „Kinder müssen auch mal auf die Nase fallen.“ Damit sie lernen, Konsequenzen für ihr Verhalten zu tragen, denn: „Wenn man Konsequenzen trägt, übernimmt man Verantwortung.“
Bücher und Filme: Konkurrenz kommt aus dem eigenen Haus
Das schimmert so ähnlich auch oft bei den Wilden Kerlen durch. Und bei den Konkurrenten der Kicker, die der gebürtige Hammer selber erschaffen hat und die „Honky Tonk Pirates“ heißen oder die in „V8“ aus Schrott und Rasenmähermotoren Autos bauen und Rennen damit fahren. Dieses „Fast and Furious“ für Kids kommt in diesem Jahr in die Kinos. Bücher gibt es dann auch. Im Sommer soll auch ein neuer Wilde Kerle-Band erscheinen, in dem die Helden älter geworden sind und der den Zusatz 2.0 im Titel trägt. „Kinder mögen nämlich keine Bücher, in denen die Helden jünger sind als sie selbst.“ Vor allem bei Mädchen kommt das nicht an. „Und mittlerweile lesen mehr Mädchen als Jungen die Bücher.“
Während Masannek drinnen noch liest, haben draußen sechs Jungen einen Ball mitgebracht, haben sich in Ermangelung einer Rasenfläche auf einem großen Asphaltplatz Tore aus hingeworfenen Jacken gebaut und die Begegnung angepfiffen. Doch dieses Spiel dauert keine 90 Minuten. Schon nach kurzer Zeit wird der Kampf ums runde Leder von einem um sein Schaufenster besorgten Geschäftsmann beendet. „Verschwindet, ist doch kein Spielplatz hier.“
Ist manchmal gar nicht so leicht, wild zu sein.