Kota Kinabalu. .

„Rettet uns! Rettet uns! Wir sind hier!“ flehte einen Tag nach dem Einsturz des achtstöckigen Fabrikgebäudes „Rana Plaza“ am Donnerstag eine schwache Stimme stundenlang aus den Tiefen der schier undurchdringlichen Betontrümmer. „Wasser! Wasser!“ hörten Feuerwehrleute in einem anderen Winkel, während sie fieberhaft in dem Schuttberg aus Beton und Eisenverstrebungen nach Wegen zu Verletzten suchten. „Luft bitte“ war alles, um was es ein anderer Verschütteter mehr als 24 Stunden nach der Katastrophe noch betteln konnte. „Wir können sie weinen hören“, sagte am Donnerstagnachmittag der übermüdete Feuerwehrmann Abdul Khayer, während über zehntausend Angehörige der Verschütteten in der Umgebung warteten.

An einer Stelle ragte das Bein eines Mannes aus der eingestürzten Ruine, seine Socke war auf die Hälfte des Fußes heruntergerutscht. Woanders war der ausgestreckte Arm einer toten Frau in den Trümmern zu sehen. Mindestens zwei Tage, so schätzte General Ali Ahmed Khan von der Nationalen Feuerwehr, wird es dauern, bis alle Trümmer am Ort des schlimmsten Katastrophe in der unfallträchtigen Geschichte von Bangladeschs Textilindustrie beseitigt sein werden.

Zwei Tage der Ungewissheit, während stündlich die Zahl der Toten steigt. 3000 der 6000 Arbeiter, die in dem achtstöckigen Fabrikgebäude beschäftigt waren, sollen nach Angaben von Bangladeschs Verband der Textilindustrie in dem Hochhaus gewesen sein, als es am Mittwoch um neun Uhr morgens einstürzte. Sie waren von den Managern von vier der für westliche Unternehmen produzierenden Firmen zur Arbeit gezwungen worden, obwohl die zuständige Industriepolizei Rana Plaza am Dienstag geschlossen hatte, nachdem Risse in den Wänden auftauchten. Wie viele Opfer insgesamt noch verschüttet sind, ist unklar. Die Behörden beziffern die Zahl der Verletzten inzwischen auf 1000. Doch niemand weiß, wie viele Arbeiter beim Einsturz entkamen. Experten befürchten, dass die Zahl der Todesopfer über 1000 steigen könnte.

Laut den Behörden in Savar, dem Stadtteil mit den meisten Textilfabriken in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, hätte das Gebäude gemäß Baugenehmigung nur vier statt der acht vorhandenen Stockwerke haben dürfen. Aber der Besitzer Sohel Rana, ein einflussreicher Funktionär der regierenden Awami Liga von Präsidentin Sheikh Hasina, hatte offensichtlich seine Beziehungen geltend gemacht und war wegen des illegalen Baus nicht belangt worden. Dank der tief verwurzelten Korruption in Bangladesch und dank dem politischen Einfluss der Milliarden US-Dollar schweren Bekleidungsindustrie des Landes ist es ein Leichtes für alle Eigentümer der rund 5000 Textilfabriken mit insgesamt 2,3 Millionen überwiegend weiblichen Angestellten, Sicherheits- und Bauvorschriften zu umgehen.

Suche nach Etiketten

Aktivisten versuchen deshalb, die westlichen Firmen in die Pflicht zu nehmen, die in Bangladesch produzieren lassen. Noch während der Rettungsarbeiten suchten sie nach den Etiketten der Abnehmer der in der Unglücksfabrik produzierten Kleidungsstücke. Sie fanden das spanische Label Mango. Arbeiter behaupteten, sie hätten außerdem für den niederländischen Abnehmer von C&A sowie Benetton produziert. Benetton bestritt dies. Der britische Billiganbieter Primark gab zu, in Rana Plaza produziert zu haben und sprach den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus.