Faham.. Die Rundum-Versorgung eines Patienten kostet im Alzheimerzentrum Baan Kanglamchay in Thailand 2700 Euro im Monat - deutlich weniger als in Pflegeheimen in Deutschland. Drei einheimische Betreuerinnen kümmern sich um einen Gast und nachts schläft eine Betreuungskraft auf einer Matte neben dem Bett.
Mit einem Papiertuch kämpft Elisabeth Mugli gegen den Schweiß an, der ihr den Hals hinunter läuft. Sie ist eine elegante, alte Dame. Die frisierten weißen Locken, die jetzt in dünnen Strähnen an ihrer Stirn kleben, streicht sie sich mit rot lackierten Fingernägeln aus dem Gesicht. Erst dann kostet sie von den tropischen Früchten, Mango und Papaya, die in mundgerechte Stücke geschnitten auf einem Teller vor ihr liegen. Im Hintergrund glitzert das Wasser des Swimmingpools in der glühenden Nachmittagssonne.
„In welchem Land bin ich?“, fragt Elisabeth Mugli in tadellosem Englisch die junge Frau an ihrer Seite, an deren dunkle Augen und feinen Gesichtszüge, an deren Namen sie sich nicht erinnern kann. „In Thailand“, antwortet La. Geduldig, so wie sie es seit dreieinhalb Jahren tut. Ob es nicht Zeit werde, bald nach Hause zu fahren? La lächelt. Die 91-jährige Schweizerin ist nicht im Urlaub. Thailand ist ihre neue Heimat, La ihre Pflegerin.
Zwölf Flugstunden entfernt von der Heimat
Elisabeth Mugli ist altersdement. Seit Juni 2009 lebt sie mit derzeit elf Senioren aus Deutschland und der Schweiz im Alzheimerzentrum Baan Kanglamchay – sie alle sind zwölf Flugstunden entfernt von der Heimat, dem Mann, der Frau, den Kindern. In einem Land, dessen Sprache und Sitten den meisten von ihnen wohl völlig fremd sind.
„Unsere Gäste nehmen die Erinnerungen, die sie noch haben, mit nach Thailand“, glaubt Martin Woodtli. Der 52-jährige Schweizer hat die Einrichtung in einem Vorort von Chiang Mai, der mit 148.000 Einwohnern größten Stadt im Norden des Landes, vor nunmehr zehn Jahren aufgebaut. Ob Elfriede S. aus Köln zwischen Palmen und Bananenbäumen, Tempeln und den Fotos vom thailändischen König in ihrem Wohnzimmer den Anblick des Doms, ihren Sohn vermisst? Man müsse realistisch sein, sagt Woodtli. „Die Welt der Demenz- und Alzheimerkranken wird kleiner, unmittelbarer.“
So wie die von Elisabeth Mugli. Als Mädchen ist sie erst in England, dann in Deutschland zur Schule gegangen, als junge Frau ihrem Mann nach Pakistan gefolgt. Dort hat sie drei Töchter zur Welt gebracht, später mit ihrer Familie in Indien gelebt. Erinnerungen, die sie in einem kleinen Koffer mit nach Thailand genommen hat – und jeden Tag aufs Neue auspackt.
Verständigung auch ohne Worte
Auch die ehemalige Kölner Direktionssekretärin Elfriede S. sei eine weitgereiste Frau gewesen, weiß Woodtli aus Erzählungen ihres Sohnes. Früher habe sie viele Kulturreisen durch Fernost und Südamerika gemacht – heute sitzt die 91-Jährige im Rollstuhl, spricht kaum noch. Mit ihrer Pflegerin versteht sie sich ohne Worte: Die junge Frau streichelt der alten liebevoll die Hand, so als wäre die eigene Großmutter. „In Thailand werden alte Menschen bis zum Tod in der Familie betreut“, sagt Woodtli. Das sei Tradition. Pflegeheime für Einheimische gibt es kaum.
Ihr Sohn habe Elfriede S. im vergangenen November nur schweren Herzens von Köln nach Chiang Mai gebracht. Den richtigen Namen seiner Mutter will er nicht in der Zeitung lesen, leidet wie viele Angehörige der Bewohner in Woodtlis Alzheimerzentrum unter Vorwürfen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. „Wie kannst du deine Mutter nur nach Thailand abschieben?“, hieße es oft. Auch er selbst habe anfangs befürchtet, mit seiner Einrichtung Menschen anzusprechen, „die ihre kranken Angehörigen loswerden wollen“, gesteht Woodtli. „Wenn ich zurück schaue, darf ich sagen, dass sie es sich alle nicht leicht machen. Sie suchen etwas Besonderes.“
Für 2700 Euro im Monat ist die Verpflegung inklusive
Sie finden es in Faham, nur wenige Kilometer außerhalb von Chiang Mai. Anders als das kulturelle Zentrum, das wegen seiner prächtigen Tempelanlagen, der bergigen Landschaft und des in den Wintermonaten milden Klimas bei Reisenden aus dem In- und Ausland beliebt ist, liegt das kleine Dorf abseits der Touristenroute. Die sieben hölzernen Wohnhäuser, die gepflegte Gartenanlage mit Swimmingpool – all das erinnert an ein Ferienresort. Kosten: Etwa 2700 Euro im Monat, Verpflegung inklusive.
Doch im Pflege-Paradies Thailand lauern auch Gefahren: Denguefieber etwa, das durch den Stich von Moskitos übertragen werden kann, ist ein Problem. Zwei Bewohner seien in zehn Jahren daran erkrankt. „Es ist ein Risiko“, sagt Woodtli. „Wir stellen aber die Lebensqualität vor die absolute Sicherheit.“
Für viele Angehörige seiner Gäste sei diese keine Preisfrage. Zwar zahlen sie für die Betreuung in Baan Kanglamchay noch immer deutlich weniger als in einem Pflegeheim in Deutschland oder in der Schweiz. Auch unterschiedliche Pflegestufen gibt es hier nicht. Weil er „diesen unmöglichen Verwaltungsapparat“ vermeiden wolle, sagt Woodtli. „Die Leute suchen aber vor allem nach einer liebevollen Betreuung für ihre Angehörigen.“
Drei Pflegekräfte pro Gast kümmern sich 24 Stunden am Tag
Die gibt es für die Bewohner seines Alzheimerzentrums rund um die Uhr. Dafür sorgen 36 Pflegekräfte – drei pro Gast. Sie betreuen die Bewohner 24 Stunden nach deren individuellen Bedürfnissen. Selbst nachts. Dann nimmt La auf einer dünnen Matratze neben Elisabeth Muglis Bett Platz. Tagsüber sorgen Ausflüge, Spiele oder Spaziergänge durch die Straßen des Ortes dafür, dass unternehmungslustige Patienten aktiv bleiben. „Wir sind hier integriert“, darauf ist Woodtli stolz. Seine Gäste lebten nicht isoliert, träfen die thailändischen Nachbarn. „So wie früher zuhause.“
Ein Pflege-Modell, das dem Schweizer zufolge nur wegen seiner überschaubaren Größe funktioniere. Mehr als 13 Gäste nimmt er in Baan Kamlangchay nicht zeitgleich auf. „Wir leben in einer Art Familiensituation.“ In der Heimat scheitere die mangels Pflegekräften und Geld: „Aktivere Bewohner werden dort oft mit Medikamenten ruhig gestellt.“
Andere Großprojekte derzeit in Planung
Auch in Thailand sieht Woodtli bereits europäische Tendenzen. Nur etwa 40 Kilometer von Chiang Mai entfernt planten Investoren aus der Schweiz derzeit ein Millionenprojekt: Auf 35.000 Quadratmetern sollen dort in zwei Jahren rund 90 Alzheimerkranke aus dem Ausland untergebracht werden. Die Einrichtung werde luxuriöser, der Personalschlüssel höher als in Deutschland oder in der Schweiz – „letztlich geht es aber in dieselbe Richtung“. Davon wolle er sich distanzieren, sagt Woodtli.
An einen Erfolg der Großprojekte glaubt er nicht. Ziel sei es, neue, familiäre Formen der Betreuung für Alzheimerpatienten zu finden. „Thailand ist nicht der einzige Weg“, sagt Woodtli. Die Chance auf familiäre Pflege gebe es überall auf der Welt.