Washington/Rom. . Der Fall Amanda Knoxgehört zu den spektakulärsten Mordfällen der vergangenen Jahre. Die Studentin soll 2007 mit ihrem Ex-Freund Raffaele Sollecito in Florenz die britische Austauschstudentin Meredith Kercher bei Sexspielen ermordet haben. Nach einem Freispruch 2011 muss Knox nun erneut vor Gericht.

Übersetzt man den Titel ihres Buches, dann kann Amanda Knox es nicht abwarten, ihre Sicht des nach sieben Jahren noch immer undurchsichtigen Todes der britischen Austauschstudentin Meredith Kercher in Süditalien darzulegen. „Waiting to be ­heard“, mit vier Millionen Dollar Vorschuss entlohnt, kommt am 30. April mit hohen Erwartungen in Amerika in den Handel, zeitgleich mit dem ersten großen Fernseh-Interview der 25-jährigen Studentin aus Seattle beim Sender ABC. Laut Verlag verspricht sie darin einen „ungeschönten“ Report über ihre Erfahrungen mit dem italienischen Justizsystem und einer prozessualen Achterbahnfahrt, die die Weltpresse beschäftigte. Seit gestern drängt sich ein Zusatzkapitel auf.

Denn das oberste Strafgericht in Rom ordnete ein neues Gerichtsverfahren gegen Knox und ihren italienischen Ex-Freund Raffaele Sollecito in Florenz an. Beide waren 2009 wegen Mordes an Meredith Kercher schuldig gesprochen und zu Haftstrafen von 25 und 26 Jahren verurteilt worden. Sie hätten Meredith beim Sex „aus Langeweile und unter Drogeneinfluss“ getötet, hieß es im ersten Urteil.

Die junge Frau war 2007 mit durchschnittener Kehle, vergewaltigt, halbnackt und von Messerstichen übersät in ihrer und Knox’ gemeinsamer Wohnung in Perugia gefunden worden. Knox und Sollecito stritten jede Beteiligung an dem Mord ab. Ein dritter Verdächtiger, der Afrikaner Rudy Guede, wurde wegen des Verbrechens zu 16 Jahren Haft verurteilt. Im Oktober 2011 hob ein Berufungsgericht die Urteile gegen Knox und Sollecito auf: Freispruch -- aus Mangel an Beweisen. Und weil die Ermittler etwa bei der Sicherung von DNA-Proben massiv geschlampt hatten.

Die Prozesse produzierten vor allem in England, wo die Eltern des Opfers bis heute Gerechtigkeit verlangen und die Boulevardpresse der Amerikanerin scharfrichterlich das Image vom „Engel mit den Eisaugen“ verpassten, und in den USA, wo Knox eher als Justizopfer firmiert, monatelang Schlagzeilen.

Zuletzt war es ruhiger um die Hauptbeteiligten geworden. Sollecito schrieb ein weitgehend bedeutungsarmes Buch über seine Sicht der Dinge und studiert in Italien Informatik. Knox setzte nach fast vier Jahren in italienischen Gefängnissen in Seattle ihr Studium („Kreatives Schreiben“) fort und frönt ihrem neuen Freund. Mit Hilfe des Washingtoner Prominenten-Anwalts Robert Barnett, der bereits ehemaligen Präsidenten wie Bill Clinton zu Traumhonoraren verhalf, ließ sie die Rechte an ihrer Geschichte maximal gewinnbringend verkaufen. Allein das Interview mit ABC-Legende Diane Sawyer am 30. April soll nach Berichten von US-Bloggern einen zweistelligen Millionen-Betrag einbringen.

Geld, das offenkundig ab sofort dringend für Anwälte gebraucht wird. Theodor Simon, Knox’ Vertreter in den USA, betonte gestern, dass die Entscheidung in Rom, den Prozess neu aufzurollen, allein auf juristisch-prozessualen Fehlern der Vorinstanzen beruhe -- „es gibt keinen neuen Beweis gegen Knox“.

Italien könnte die Auslieferung fordern

Der in Italien stationierte Statthalter Carlo Dalla Vedova sekundierte mit der Prognose, dass ein neuer Prozess, an dem weder Knox noch Sollecito teilnehmen müssen, frühestens 2014 stattfinden könne. Sollte Knox schuldig gesprochen werden und dieses Urteil auch den Segen des Obersten Gerichtes in Rom finden -- Zeitschiene laut Rechtsexperten: „2016 und folgende“ -- wäre denkbar, dass Rom von der US-Regierung ihre Auslieferung fordert. Sie hatte 2011 gesagt, sie werde „nie wieder“ einen Fuß auf italienischen Boden setzen.

Knox habe vor der jüngsten Entscheidung eine schlaflose Nacht in Seattle gehabt, berichtet Dalla Vedova. „Sie ist enttäuscht, aber nicht verzagt, sowas würde auch nicht ihrem Charakter entsprechen.“

Der Italiener Sollecito erfuhr die Hiobsbotschaft an seinem 29. Geburtstag: „Und ich dachte, man könnte nun einen Schlussstrich unter diese Sache ziehen“, sagt er.

Die Familie der Getöteten begrüßte die Aufhebung des Freispruchs.. Es gebe „noch immer unbeantwortete Fragen, und wir suchen alle nach der Wahrheit“, sagte Stephanie Kercher, die ältere Schwester des Opfers.