Bonn.. Die Hinterbliebenen afghanischer Zivilopfer des Kundus-Bombardements 2009 dürfen auf Schadensersatz durch die Bundesrepublik hoffen. Das Bonner Landgericht folgte zum Prozessauftakt am Mittwoch nicht dem Antrag der Bundesrepublik, die Klage aus mehreren Gründen als unzulässig abzuweisen.
Abdul H. konnte zu seinem eigenen Prozess nicht kommen. Der afghanische Bauer klagt gegen die Bundesrepublik Deutschland – doch die hat ihm kein Visum erteilt. Möglich, dass Abdul H. aber demnächst als Zeuge vor Gericht erscheinen muss: um zu beweisen, dass er wirklich der Vater von zwei kleinen Jungen ist, die am 4. September 2009 beim Bombenangriff auf einen Tanklaster bei Kundus starben.
Es ist ein aufsehenerregender, weil ungewöhnlicher Fall, den die 1. Zivilkammer des Bonner Landgerichts seit Mittwoch zu verhandeln hat, „nichts Alltägliches“, sagt sogar ihr Vorsitzender Heinz Sonnenberger: „H. u. a. gegen die BRD“, auf dem Plan gleich nach einer regionalen Baurechts-Sache. Dreieinhalb Jahre, nachdem unter den Bomben der Alliierten bei Kundus wohl über 100 Menschen umkamen, will Vater H. Schmerzensgeld für seine Söhne, acht und zehn.
"Keine Experten"
Und die Witwe eines Tagelöhners fordert Entschädigung für den Ernährer ihrer sechs Kinder. Die Opfer haben angestanden um etwas Treibstoff an jenem Tanklaster. Dass die Bundeswehr Bomber anforderte, wertet der afghanisch-stämmige Anwalt Karim Popal aus Bremen als „grobe Verletzung des Völkerrechts“.
Dafür sind die Mitglieder der Staatshaftungs-Kammer eigentlich „keine Experten“, gesteht Sonnenberger, und was sie nicht alles abwägen müssen: ob eine Klage überhaupt rechtens ist, Bonn der richtige Gerichtsstand und der Vorwurf der „Verletzung der Amtshaftungspflicht“ im Krieg eigentlich möglich ist.
77 weitere Opfer
Ist, was am Hindukusch passiert, überhaupt ein internationaler bewaffneter Konflikt? Und wenn ja, haben dann Einzelne ein Recht auf Entschädigung? Nur die Zivilisten oder auch die Taliban – und wie soll man die unterscheiden? Gilt das Haager Landkriegsrecht, die Genfer Konvention, das Grundgesetz oder das Bürgerliche Gesetzbuch?
„Die Akte ist sehr dick“, sagt Richter Sonnenberger, es sei „alles noch sehr fließend“, man hat eine Menge Fragen. Im Saal blättern Ministerialrat, Regierungsdirektorin und drei Anwälte in ihren Ordnern, gütlich einigen wird man sich nicht. Es ist strittig, was nur strittig sein kann.
Das hier wird eine längere Geschichte. Man ahnt: ein Präzedenzfall, wie andere vor ihm schon Jahre durch die Instanzen wandern. Und Anwalt Popal vertritt noch 77 weitere Opfer. Mit Abdul H. wird möglicherweise bald auch die Mutter der sechs Kinder nach Deutschland kommen. Es muss ja, sagt der Vorsitzende, „nachgewiesen werden, dass der Mann wirklich umgekommen und sie seine Ehefrau ist“.