Washington. Neun Wochen nach dem Massaker von Newtown ist immer noch nicht viel bekannt über den jungen Mann, der erst seine Mutter erschoss und dann 20 Schulkinder und fünf Lehrer tötete. Die Polizei im US-Bundesstaat Connecticut wird ihre Ermittlungergebnisse erst in einigen Monaten veröffentlichen. Unterdessen recherchieren auch die Lokalreporter.
Wer war Adam Lanza? Auch neun Wochen nach dem bislang folgenschwersten Massaker an einer amerikanischen Schule, bei dem insgesamt 27 Menschen starben, stehen hinter dem Täter von Newtown viele Fragezeichen. In unregelmäßigen Abständen sickern Schnipsel aus Ermittlerkreisen durch. Wie jetzt die Spekulation, dass der 20-Jährige womöglich den norwegischen Massenmörder Anders Breivik übertreffen wollte, der im Juli 2011 im Großraum Oslo 77 Menschen getötet hatte.
Paul Vance, der führende Mann der Polizei in dem kleinen Städtchen im US-Bundesstaat Connecticut, dementierte die Vermutung deutlich. Inoffiziell heißt es auf Nachfrage: "Es ist eine Theorie unter vielen. Wir haben Zeitungsartikel über Breivik bei Adam Lanza gefunden." Erst "in einigen Monaten" werde der Abschlussbericht der Untersuchung vorliegen.
Adam Lanza soll von früh an ein schwieriges Kind gewesen sein
Alaine Griffin und Josh Kovner können bis dahin nicht warten. Die beiden Reporter der renommierten Regionalzeitung "Hartford Courant", zuständig für Newtown, drehen seit Wochen jeden Stein um, um zu rekonstruieren, warum es am 14. Dezember in der Sandy Hook-Grundschule zur Eskalation kam. Lanza kann niemand mehr befragen. Erst schoss er seiner alleinerziehenden Mutter Nancy vier Mal in den Kopf. Nach dem Blutbad in der Schule, dem 20 Kinder zum Opfer fielen, richtete er sich selbst.
Der öffentliche finanzierte Sender PBS hat die Recherchen der Lokalredakteure in einer eindrucksvollen Dokumentation seiner Reihe "Frontline" nachgezeichnet. Freunde und frühere Wegbegleiter von Nancy Lanza geben darin zum ersten Mal vor der Kamera Auskunft. Dabei verdichtet sich das Bild einer übervorsorglichen Mutter, die vor und nach der Scheidung von ihrem Mann für ihr seit frühester Jugend schwieriges Kind stets das Beste wollte, am Ende aber aus Ratlosigkeit und Überforderung die falschen Schritte getan haben könnte.
"Man durfte ihn nicht berühren, dass regte ihn auf"
Marvin LaFontaine, ein früherer Nachbar, sagte über Adam im Alter von sechs Jahren: "Es umgab ihn etwas Merkwürdiges. Man durfte ihn nicht berühren, das regte ihn auf." Ärztliche Diagnosen ergaben, dass der Junge auf helles Licht und Lärm allergisch reagierte. Später kam der Asperger-Befund hinzu, ein milde Form von Autismus, die soziales Verhalten erschwert. Adam hasste das Gedränge auf den Schulfluren. Nancy Lanza, die ihren Sohn früh an Schusswaffen gewöhnte, reagierte mit häufigen Schulwechseln. Dort wurde Adam "individualisierte Bildungsnachhilfe" zuteil.
Äußerst selten gelang es, den Jungen in die Gemeinschaft zu integrieren, erinnerte sich Richard Novia, der an der Newtown Highschool einen Technik-Klub leitete. "Manchmal hatte Adam Episoden, da saß er komplett der Welt entwunden und regungslos in der Ecke." Ihn auf ein Gruppenfoto zu bekommen, sei ein echter Kraftakt gewesen.
Videospiele im Wert von "mehreren tausend Dollar"
Als Adam, der inzwischen den Führerschein erworben hatte, der Highschool den Rücken kehrte und sich auf einem in der Nähe gelegenen College einschrieb, um Saxofon und Chinesisch zu lernen, sah Nancy Lanza nach Einschätzung der Reporter einen "Lichtblick". Er war nur von kurzer Dauer. John Bergquist, ein Freund, beschrieb den Reportern des "Courant" die schleichende Verzweiflung einer Mutter, die im eigenen Haus ihren Sohn verliert. Auf dem Dachboden des 500.000 Dollar teuren Anwesens in Newtown hatte Adam sein Refugium, blieb stundenlang allein mit sich in einer virtuellen Welt. Nach dem Blutbad fanden die Fahnder laut "Courant" Videospiele im Wert von "mehreren tausend Dollar". Darunter solche, in denen das präzise Töten von Menschen der einzige Zweck ist.
Nancy Lanza wechselte ihre Erziehungsstrategien oft. Zuletzt plante sie einen Ortswechsel an die Westküste. Ihre Dauerkarten für den Baseball-Klub der Boston Red Sox hatte sie bereits verkauft. Um Adam selbständiger werden zu lassen, ließ sie ihn häufiger als sonst allein. Zu seinem Vater, Peter Lanza, hatte Adam abrupt alle Verbindungen abgebrochen. Was sich in dieser Einsamkeit aufgestaut hat, entlud sich am 14. Dezember. Nach der Ermordung seiner Mutter fuhr Adam Lanza zu der Grundschule, die er als Sechsjähriger selbst besucht hatte - und schoss.