Johannesburg. . Der gefeierte Sportler Oscar Pistorius hatte offenbar auch unangenehme Züge. Nach dem tödlichen Schüssen auf seine Freundin Reeva Steenkamp wird er plötzlich als Macho und Rabauke geschildert .

Oscar Pistorius herrschte im Olymp des Sports wie Nelson Mandela im Parthenon der Politik oder Erzbischof Desmond Tutu im Himmel der Moral. Drei Südafrikaner, die scheinbar unvergänglichen Ruhm auf sich zogen: Während Tutu und Mandela die zynische Herrschaft der Bleichgesichter zum Einsturz brachten, forderte Pistorius die Diktatur des Makellosen und „Gesunden“ heraus. Der unterschenkelamputierte Kurzstreckenläufer wurde zum lebendigen Beispiel dafür, dass eiserner Wille nicht nur gesellschaftliche Konventionen sprengen, sondern selbst die Natur überwinden kann – ein Held in bester Tradition.

Nun ist es um den Helden geschehen. Pistorius soll am frühen Morgen des Valentinstags seine Partnerin Reeva Steenkamp ermordet haben. Seine Erklärung, er habe das blonde Model für einen Einbrecher gehalten, nimmt ihm die Polizei nicht ab. Nun bleibt der 26-jährige Ausnahmesportler zumindest so lange hinter Gittern, bis das Gericht Mitte nächster Woche über eine Freilassung auf Kaution hin entscheidet – in der Öffentlichkeit hat unterdessen schon die Demontage des einstigen Übermenschen begonnen. Wenige Stunden nach dem dramatischen Vorfall werden in Johannesburg die ersten riesigen Werbeflächen mit dem Konterfei des „Blade Runners“ abgenommen, während Firmen, die mit dem „schnellsten Mann ohne Beine“ warben, fieberhaft ihre Webseiten zu „säubern“ beginnen.

An der Glorifizierung des Sportidols waren alle beteiligt. Die südafrikanische Regierung zeichnete ihren Landessohn mit einer ihrer höchsten Auszeichnungen, dem Ikhamanga-Orden in Bronze, aus. Das Time-Magazin räumte ihm einen Platz in der Liste der 100 einflussreichsten Weltbürger ein. Das GQ-Magazin kürte ihn zum „bestgekleideten Mann 2011“, und das „People“-Magazin ernannte ihn gleich zum „Sexiest Man Alive“.

Auf dem Thron halb Gott, halb Mensch

Selbstverständlich nutzten auch Unternehmen das sportliche Vorbild zum „Branding“ ihrer Produkte, wofür sie Pistorius im Jahr fast fünf Millionen Dollar bezahlten. Unter ihnen der Kosmetik-Konzern Thierry Mugler, der den Muskelmann zum Gesicht seiner Macho-Produktlinie „A*Man“ machte. Auf dem dazugehörenden Video sitzt der Sportler mit den futuristischen Prothesen auf einem Thron im Universum: „Teils Mensch, teils Gott“ sei „der Held“, von seiner „inneren Stärke und seiner Sehnsucht zu erobern beherrscht“, sülzt der Begleittext.

Auch Nike spielte mit dem Testosteron-Haushalt des Sportlers: „Das ist der Körper, den ich bekommen habe“, lassen die Werbe-Experten den im Alter von elf Monaten amputierten Südafrikaner sagen: „Das ist meine Waffe. . . So führe ich meinen Krieg.“ Ein Teil der Kampagne, die Pistorius mit den Worten „Ich bin die Kugel in der Trommel“ aus den Startlöchern herausschießend zeigt, wurde nach dem Vorfall schnellstens von Pistorius’ Webseite genommen.

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Ob dem Sportler die Macho-Idealisierung erst zu Kopf stieg oder in seinem hormonellen Haushalt angelegt war? Jedenfalls kommt inzwischen immer deutlicher zum Vorschein, dass der strahlende Held auch seine ganz uncharmanten Schattenseiten hatte. In ihren Archiven finden Journalisten plötzlich Berichte, die den Helden schon vor Jahren als Rabauken beschrieben: Bereits 2009 verbrachte Pistorius eine Nacht auf selbiger Polizeiwache in Pretoria, weil er eine junge Besucherin verprügelt haben soll.

Adrenalin-Spielzeug

Dann werden Zeitungsberichte entdeckt, in denen eine Geliebte von Pistorius ankündigt, sie werde bald mal erzählen, was sie mit ihrem Freund so alles durchmachen musste – ihre Ankündigung zog sie später aus unerfindlichen Gründen wieder zurück. Journalisten, die sich die Mühe machten, mehr Zeit mit dem Idol zu verbringen, berichten nicht nur von seinen Affären, seiner Vorliebe für schnelle Autos, Kampfhunde und andere Adrenalin-Spiegel erhöhende Aktivitäten: Auch sollen sich in seinem Haus mehrere Waffen befinden.

„Mit Pistorius Zeit zu verbringen, kann viel Spaß machen“, resümiert ein Reporter der „New York Times“: „Man versteht allerdings auch schnell, dass er mehr als nur ein bisschen verrückt ist.“ Selbst diese Beobachtung ging bei der Verherrlichung des Idols allerdings irgendwie unter: Die Welt, meint der britische „Guardian“, habe Pistorius „wohl nicht so gut gekannt, wie sie meinte“.