Washington.

„Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten und Tyrannen aufgefrischt werden.“ Das letzte Mal, dass ein Größenwahnsinniger Thomas Jefferson, den Vater der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, missbräuchlich aus dem Zusammenhang gerissen hat, war 1995: Timothy McVeigh bombte in Oklahoma 169 Menschen in den Tod. Er trug den Satz auf einem T-Shirt. Christopher Jordan Dorner hat sich das schwülstige Zitat für ein bizarres Manifest auf seiner Facebook-Internetseite geborgt. Darin schrieb der 33 Jahre alte Reserve-Soldat und Ex-Polizist detailliert auf, was seit einer Woche halb Kalifornien in Atem hält. Weil er sich von seinem ehemaligen Arbeitgeber, dem Polizei-Departement von Los Angeles (LAPD), um die Ehre gebracht sieht, hat Dorner damit begonnen, jene gezielt zu erschießen, die er für schuldig hält.

Bruch auch mit der Mutterund besten Freunden

Drei Menschen sind bereits tot, mehrere wurden zum Teil schwer verletzt. Bis gestern Abend war der Cop-Killer noch auf freiem Fuß. Liest man das im Stile eines Weltenrächers verfasste Bekennerschreiben, stößt man auf diesen seltsamen Vorgang, der alles ausgelöst haben soll. Dorner, seit 2005 einer von 10 000 Beamten des LAPD, hatte gegen eine Vorgesetzte ausgesagt. Teresa Evans soll bei einer Festnahme den geistig behinderten Christopher Gettler mehrfach getreten haben, schreibt die „Los Angeles Times“. Die Beschuldigte stritt alles ab, obwohl es Zeugen gab.

Disziplinarrechtliche Verfahren, gepaart mit Anfeindungen aus der Kollegenschaft, endeten 2008 mit Dorners Rauswurf aus einer der prestigeträchtigsten Polizei-Armeen Amerikas. Seither sann der kahlköpfige, muskulöse, knapp 125 Kilo schwere Afro-Amerikaner auf Rache. In seinem Manifest nennt er zwei Dutzend Ex-Kollegen und Vorgesetzte. Sie sollen schuld sein an seinem gesellschaftlichen Abstieg, der selbst vor einem Bruch mit seiner Mutter und besten Freunden keinen Halt gemacht habe.

Am vergangenen Sonntag traf es die ersten Opfer: Monica Quan, eine Uni-Basketball-Trainerin (28), und ihr Verlobter Keith Lawrence wurden auf einem Parkplatz in Irvine bei Los Angeles erschossen. Quan ist die Tochter von Randy Quan, jenem Beamten, der Dorner im internen Polizeiverfahren im Visier hatte. Monicas Tod rechtfertigt der Killer so: „Ich hatte nie die Chance auf eine eigene Familie. Darum werde ich eure auslöschen.“

L.A.‘s Polizeichef Charlie Beck handelte sofort. 40 Personen erhielten Polizeischutz, der komplette Süden Kaliforniens wurde in Alarmzustand versetzt, Tausende Polizisten in die Fahndungsmaschine integriert. Mit höchsten Sicherheitsauflagen. Dorner hat über die Jahre mehrere Ehren-Medaillen für präzise Schusskunst an Gewehr und Pistole errungen. Beck: „Er ist extrem gefährlich.“ In der Nacht zum Donnerstag bekamen vier ehemalige Kollegen das bei einer Routine-Kontrolle in Riverside zu spüren. Ein Polizist erlag seinen Verletzungen, die drei anderen wurden zum Teil schwer verletzt. Im Anschluss wurden irrtümlich zwei Frauen in ihrem Auto angeschossen. Die Polizei glaubte das Fahrzeug das Täters vor sich.

Vorläufige Endstation der Menschenjagd ist das Ski-Gebiet Big Bear Lake, 80 Meilen östlich von Los Angeles. In den verschneiten Wäldern fand die Polizei den ausgebrannten Wagen von Dorner. Seit Donnerstagabend durchsuchten die vor Ort zusammengezogenen Einsatzkräfte Haus für Haus. Bislang vergeblich. Es wird nicht ausgeschlossen, dass Dorner ins angrenzende Nevada geflohen ist, wo er ein Haus besitzt.