Wuppertal. .
Sie war 16 Jahre jung damals, schwanger und ein reines Zufallsopfer. Ihr Vergewaltiger hatte eigentlich eine andere Frau im Blick. Doch dann wurden diese Tage im Mai 2009 für Janine zu einem unvorstellbaren Martyrium. Drei Tage lang vergewaltigte der Mann sie über Stunden, fesselte, quälte und bedrohte sie. Ja, er ergötzte sich an der Vorstellung, sie als seine „Gespielin“ gefangen zu halten.
Janine, die junge Frau aus Solingen, verbuchte gestern für sich, aber auch für viele andere Frauen einen großen Erfolg vor der 16. Zivilkammer des Wuppertaler Landgerichts. Insgesamt 100 000 Euro Schmerzensgeld muss ihr Peiniger von damals, der heute 32-jährige Stefan G., zahlen. Es ist, nach Angaben des Gerichts, das höchste Schmerzensgeld, das in Deutschland bislang für sexuelle Gewalt verhängt wurde. „Üblich waren 50 000 Euro“, sagt Thorsten Anger, Sprecher des Wuppertaler Landgerichts.
Richter Siegfried Mielke ging es um eine neue Bewertung von sexueller Gewalt. Er wolle, so sagte er, „einen Paradigmenwechsel erreichen“, sexuelle Gewalt habe in bisherigen Verfahren nicht den Stellenwert erfahren, die ihr eigentlich zustehe. Hendrik Prahl, Janines Anwalt, zeigte sich gestern „sehr zufrieden“ mit dem Urteil: „Ich glaube, dass viele deutsche Gerichte auf diese Entscheidung gewartet haben!“
Und auch Eva Kuhn von der Arbeitsgemeinschaft deutscher Anwältinnen charakterisiert das Urteil als „mutmachend“. „Die Dunkelziffer bei Vergewaltigungen ist hoch. Viele Frauen zeigen sie erst gar nicht an. Vor allem aber tun sich nur wenige Frauen einen zweiten, einen Zivilprozess an. Das Urteil ist ein Zeichen, ein Schritt in die richtige Richtung.“
Der Vergewaltiger, ein arbeitsloser Verkäufer, hatte Janine schon im Strafprozess 20 000 Euro Schmerzensgeld angeboten und auch gezahlt. Stefan G.s Familie verfügt, so heißt es, durchaus über finanzielle Mittel. Sein Opfer hatte er auf dessen Schulweg abgefangen, mit einem Messer bedroht und in seine 300 Meter entfernte Wohnung gezwungen.
Sie flüchtete, als er feiern ging
Auch dass Janine ihm eröffnete, sie sei schwanger, beeindruckte ihn nicht. Er drohte gar, das Kind nach der Geburt ebenfalls zu missbrauchen. Die damals 16-Jährige konnte fliehen, als ihr Peiniger zu einer Konfirmationsfeier abgeholt wurde. Der Täter wurde noch auf der Feier verhaftet und später zu zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt.
„Das Urteil ist ungewöhnlich, weil es das bisher übliche Schmerzensgeld verdoppelt und schlägt schon jetzt hohe Wellen“, sagt Rechtsanwalt Hendrik Prahl. Der Richter habe das Schmerzensgeld auch mit Urteilen im Presserecht verglichen. „Da erhalten Prominente manchmal 400 000 Euro, nur weil Paparazzi sie fotografiert haben. Dabei sei dieser Eingriff in die Persönlichkeitsrechte wohl kaum mit der bei einer Vergewaltigung zu vergleichen“, so Prahl.
Bei der Opferschutzorganisation Weißer Ring hatte man mit einem so hohen Urteil nicht gerechnet. Es sei aber im Sinne der Opfer. „Viele benötigen Hilfe, teure Therapien. Da sind 100 000 Euro schnell ausgegeben!“, sagt Weißer Ring-Sprecher Veit Schiemann. Es bleibe allerdings zu hoffen, dass es nicht nur bei dem gerichtlichen Titel bleibe, sondern der Täter auch tatsächlich zahle.
Der Täter war in dem Strafprozess von einem psychiatrischen Gutachter als schizoider Einzelgänger beurteilt worden, der keine Reue zeige. Sein Anwalt kündigte an, gegen das Urteil des Wuppertaler Landgerichts Berufung einzulegen. Janine, sein Opfer, hat sich nach diesen grausamen Tagen im Mai 2009 „gut stabilisiert“, genieße das Familienleben mit ihrem Freund und dem gesund zur Welt gekommenen Kind. Aber auch Hendrik Prahl weiß, dass es Jahrzehnte dauern kann, bis Opfer sexueller Gewalt das Erlebte bewältigt haben.