Der Fremde, der auf einem kleinen gelben Segelschiff wie ein Quietsche-Entchen durch den Hamburger Hafen fährt, ähnelt dem Comic-Gallier Asterix. Bei seinem kritischen Gesichtsausdruck liegt der weiße Schnauzer leicht schief: “Das ist ja schrecklich hässlich! Incroyable!“, ruft der Franzose vom Wasser in Richtung der Elbphilharmonie.

Hamburg (dapd). Der Fremde, der auf einem kleinen gelben Segelschiff wie ein Quietsche-Entchen durch den Hamburger Hafen fährt, ähnelt dem Comic-Gallier Asterix. Bei seinem kritischen Gesichtsausdruck liegt der weiße Schnauzer leicht schief: "Das ist ja schrecklich hässlich! Incroyable!", ruft der Franzose vom Wasser in Richtung der Elbphilharmonie. Schrecklich hässlich ist auch die Botschaft, die er mitbringt - und auf Leinwand zeigt.

Der Mann heißt Yann Arthus-Bertrand. Seines Zeichens Fotograf, Filmemacher und Umweltschützer. Der 66-Jährige ist nach Hamburg gekommen, um seinen Dokumentarfilm "Planet Ocean" als Deutschlandpremiere vorzuführen. Am Donnerstag (31. Januar) erscheint der Streifen als DVD und Blue-Ray.

Es ist ein trauriger Film. Und doch haben ihn schon viele gesehen. Zuerst die Politiker auf dem UN-Nachhaltigkeitsgipfel Rio+20 im vergangenen Sommer, dann Schüler, Studenten und Umweltaktivisten in Frankreich. Das Lockmittel: Atemberaubende Aufnahmen aus 20 Ländern, über und unter Wasser. Fische, Mikroorganismen und Korallen in paradiesischen Farben. Manchmal schwebt die Kamera inmitten von Fischschwärmen, die ruckartig, scheinbar führungslos und doch im Gleichklang die Richtung ändern.

Ein Luxusuhren-Hersteller habe "Planet Ocean" mit rund 1,3 Millionen Euro finanziert, sagt Arthus-Bertrand. "Als hätten die Uhrmacher verstanden, dass die Zeit knapp wird." Der ehemalige Heißluftballon-Fahrer war für die Luftaufnahmen verantwortlich, Regie bei den Unterwasseraufnahmen führte sein Landsmann Michael Pitiot. Ein Jahr lang drehten sie. Und die Bilder sind beeindruckend: Eine Szene zeigt in leuchtenden Farben den Krieg zwischen Kleinstorganismen im Plankton. In einer anderen zieht ein Walhai wie ein Schlachtschiff an der Kamera vorbei.

Gefährdetes Paradies und schockierende Zahlen

Pitiot steht neben Arthus-Bertrand in dem gelben Boot, dem Hamburger Forschungsschiff "Aldebaran". Langsam fährt es an kleinen Eisschollen vorbei. Auch hier in Hamburg sei der Lebensraum Wasser bedroht, berichtet der Geschäftsführer der "Aldebaran", Frank Schweikert, den beiden Franzosen. Sollte die umstrittene Elbvertiefung Realität werden, werde mehr Salzwasser in die Elbe fließen und dadurch Tier- und Pflanzenwelt durcheinanderbringen. "Nur damit immer größere Containerschiffe noch mehr Waren bringen können."

"Mehr, mehr, immer mehr - der Mensch kann so nicht weitermachen", erwidert Arthus-Bertrand. "Als ich geboren wurde, lebten zwei Milliarden Menschen auf der Erde. Heute sind es sieben Milliarden." Eine Lösung hätten sie leider auch nicht, sagen die Filmemacher. Die Menschheit und ihre Probleme seien zu komplex. Mit "Planet Ocean" wollen sie wachrütteln, auf eben diese Problem hinweisen, zeigen wie alles zusammenhängt. Das tut der Film nach dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche: Auf wunderschöne Bilder folgen schmerzhafte Zahlen.

Der Zuschauer erfährt: 90 Millionen Tonnen Fisch würden jedes Jahr aus den Meeren geholt. 80 Prozent der Gewässer seien überfischt. Riesige Schiffe zögen bis zu 40 Kilometer lange Netze hinter sich her, die jede Fangquote ad absurdum führten. 15 Prozent des weltweiten Fischfangs seien illegal. Fazit: Das eben noch gezeigte Unterwasser-Paradies könnte in einigen Jahrzehnten verschwunden sein.

Den erschreckenden Höhepunkt erreicht der 90-minütige Film mit Kunststoff. Jenem Plastik, das der Mensch wegwirft. Auf einer Fläche so groß wie Zentraleuropa treibt der Müll allein im Pazifik. Fische und Vögel verwechseln das Plastik mit Futter. Wer kürzlich Fisch gegessen hat, fragt sich spätestens hier, wo der wohl vorher geschwommen sein und was er gefressen haben mag.

"Informiert euch, was ihr da esst!"

Bei Vorführungen des Films in Frankreich hätten Kinder sehr emotional reagiert, sagt Arthus-Bertrand. Wütend darüber, dass die Erwachsenen so etwas zuließen. Bei Politikern wie auf dem UN-Gipfel in Rio sei die Reaktion hingegen immer dieselbe: Ratlosigkeit. Was kann man schon tun?

"Wir müssen bei uns selbst anfangen. Informiert euch, was ihr da esst!", fordert Arthus-Bertrand. Es gebe Fischarten aus bestimmten Gebieten, die ohne Bedenken gegessen werden könnten. Außerdem habe in einer Demokratie jeder eine Stimme. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, sie zu erheben: 2013 wolle die EU Gesetze verabschieden, die die Fischereipolitik ihrer Mitgliedstaaten für das nächste Jahrzehnt prägen wird.

Arthus-Bertrands Hoffnung: Wenn nur genug mitmachen, könnte die Menschheit die Richtung ändern. Wie ein Fischschwarm. Der Franzose mit dem weißen Schnauzer blickt sorgenvoll auf die Baustelle der Elbphilharmonie. "So viele Millionen für dieses hässliche Ding", seufzt er und fügt hinzu: "Sollen sie aufhören zu bauen und das Geld dem Schutz der Meere widmen!"

dapd