Washington.. Oprah Winfrey, größter schwarzer US-Fernsehstar: Bei ihr beichten sie alle. Das Gespräch mit Lance Armstrong elektrisiert seit Tagen die US-Medien und rückt eine Frau in den Blickpunkt, die mit 500 Dollar-Wimpern und eigenem Jet durch die Welt düst.
Michael Jackson hat sich zu Lebzeiten von ihr bereitwillig fragen lassen, warum er sich auf der Bühne in den Schritt fasst. 90 Millionen sahen gebannt zu. Bill Clinton erbat auf ihrem Fernseh-Sofa Milde nach den außerehelichen Aktivitäten mit Monica Lewinsky. Da war die Quote nicht ganz so sensationell. Wie wird es heute Abend (Freitag drei Uhr morgens deutscher Zeit) sein, wenn das einflussreichste Muttertier der amerikanischen Fernseh-Gruppentherapie nach dem Schlüssel sucht, um einen notorisch lügenden Radfahrer vor Allerwelts Augen aus dem Tritt zu bringen?
Oprah Winfrey versus Lance Armstrong – die Paarung elektrisiert seit Tagen die US-Medien und rückt eine Frau in den Blickpunkt, um die es zuletzt stiller geworden war. Die Milliardärin, die mit 500 Dollar-Wimpern und eigenem Jet durch die Welt düst, verkörpert den brüchig gewordenen amerikanischen Traum, wonach es jede(r) schaffen kann. Man/frau muss nur tüchtig an sich glauben – und ständig besser werden.
Sie will Menschenbesser machen
Wer ist diese Frau? Oprah Gail Winfrey wird zur Zeit der Rassentrennung in der Kleinstadt Kosciusko im Süd-Staat Mississippi geboren. Vater Soldat, Mutter Putzfrau. Oprah wächst bei den Großeltern auf. Arme Verhältnisse. Statt mit Haustieren spielt das Kind mit Ungeziefer. Ihre Küchenschaben heißen Melinda und Sandy.
Kerle aus der Nachbarschaft, angeblich ein Cousin und ihr Lieblingsonkel, vergehen sich an ihr. Fehlgeburt mit 15. Dann kommt das Kokain. Später studiert sie Theater, will nach Hollywood. 1985 gibt sie in Spielbergs „Die Farbe Lila“ eine Oscar-nominierungsreife Figur ab.
Zwölf Millionen Menschen sehen zu
Ungefähr zur gleichen Zeit startet sie von Chicago aus eine der strahlendsten Karrieren, die das schwarze Amerika jemals gesehen hat. Ihre anfangs morgens, später nachmittags ausgestrahlte „Oprah Winfrey Show“ wird zum festen Bestandteil des weiblichen Amerikas zwischen 25 und 50. Anfangs sehen täglich zwölf Millionen zu. Als sie im Mai 2011 aufhörte, hatten sich 144 Länder zugeschaltet.
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Dazwischen liegt ein Vierteljahrhundert Fernsehgeschichte, das mit dem Etikett Talkshow nur unzureichend beschrieben ist. Kaputte Ehen, Fettleibigkeit oder Verschuldung, Drogensucht, Inzest oder Sexprobleme, Karrieredellen und spirituelle Krisen. Kein Thema, das hier nicht aufgerufen worden wäre. Häufig beweint von der Hausherrin höchstpersönlich, stets repräsentiert durch Prominenz, die rhetorisch stets massiert, nie gepiesackt wurde. Oprah hörte zu. Oprah verzieh. Aber Oprah wollte nie nur reden.
Das Reich der Winfrey ist ein Beratungsimperium geworden
Sie will helfen. Menschen besser machen. Und damit ein bisschen die ganze Welt. Fernsehen war ihr nie genug. Ein Bücherklub, ein Radiokanal, eigene Hochglanz-Magazine, Internetdienste – das Reich der Winfrey ist ein Beratungsimperium geworden, das der Chefin bis vor kurzem 300 Millionen Dollar im Jahr einbrachte.
Wer so tickt, driftet manchmal ab. „Ich wollte, dass er gewählt wird“, sagte Oprah Winfrey im November 2008 zufrieden, „und ich habe es geschafft“. Er – das war Präsident Barack Obama, der sich mit Gattin Michelle schnell bereitfand, als im Studio der O. ein Platz frei war. Dort ist TV-Gruppentherapie das geworden, was die Zeitschrift „Vanity Fair“ einmal einen säkularen Gottesdienst nannte; mit der schwarzen Hohepriesterin der verständnisvollen Gerechtigkeit mittendrin. Spezialgebiet: die spektakuläre Beichte, der Seelenstriptease zwischen Trash und Tratsch.
Der Wechsel unter das Dach des Discovery Channels floppte
Eigentlich hätte es so immer weitergehen sollen. Doch der Wechsel unter das Dach des Discovery Channels mit ihrem eigenen Unternehmen OWN 2011 floppte. Oprahs Quoten sausten abgrundtief in den Keller. Millionen wurden verbrannt.
Jetzt sitzt die Chefin wieder selbst auf der Brücke und steuert den Tanker aus dem Rampenlicht heraus. Lance Armstrong wird ihr mit einer guten Quote unter die Arme greifen. Im Gegenzug darf er auf Nachsicht hoffen.