Frankfurt.. Ein Gespräch mit der Autorin von „Das andere Kind“: Charlotte Link über die Arbeit fürs Fernsehen. Über ihre Enttäuschung beim ZDF und ihre Erwartungen an die ARD. An diesem Mittwoch und Donnerstag zeigt das Erste die Verfilmung von Links Buch als Zweiteiler.
Die ARD eröffnet das Jahr mit einer Roman-Verfilmung. Der Zweiteiler „Das andere Kind“ (ARD, 2. und 3. Januar, 20.15 Uhr) nach einem Bestseller von Charlotte Link setzt auf große Gefühle. Mit der Autorin sprach Jürgen Overkott.
Sie haben mehr als zwanzig Millionen Bücher verkauft. Haben Sie ein Bestseller-Gen?
Charlotte Link: Das ist die Grundsatzfrage danach, wie Bestseller entstehen. Es ist kein Gen, aber offensichtlich habe ich eine Gabe, beim Erzählen den Nerv vieler Menschen zu treffen. Ein Rezept habe ich nicht. Ich kann das Phänomen auch nicht erklären. Ich kann nur sagen, es funktioniert.
Ihre Bücher werden seit mehr als zehn Jahren verfilmt. Müssen Autoren multimedial denken?
Charlotte Link: Das wird an einen herangetragen. Es heißt, man dürfe sich dem nicht verschließen. Ich selbst bin mir da nicht so sicher. Verfilmungen sind ein wirklich starker Eingriff in das Buch. Und ich bin als Autorin, übrigens keineswegs als einzige, nicht immer nur glücklich darüber, was daraus wird. Ich könnte mir vorstellen, auch als nicht-multimedial denkender Autor zu leben, aber es hängen noch andere Leute an dieser Entscheidung.
Lange Jahre haben Sie mit dem ZDF zusammengearbeitet. Jetzt ist es die ARD. Wie kam es zu dem Wechsel?
Charlotte Link: Zwischen dem ZDF und mir hat es ganz erhebliche Meinungsverschiedenheiten gegeben, wie das Endprodukt auszusehen hat. Ich habe mich als Autorin in den Produkten nicht mehr wiedergefunden. Aber zugleich waren sie so erfolgreich, dass es beim ZDF keine echte Bereitschaft gab, mir entgegenzukommen. „Das andere Kind“ mit der ARD und der Produktionsgesellschaft TeamWorx ist ein Neuanfang, obwohl ich zwischenzeitlich der Ansicht war, jetzt lasse ich meine Bücher gar nicht mehr verfilmen, weil es einfach nicht geht. Ich habe mich dann aber doch überreden lassen, es in einer neuen Konstellation noch mal zu versuchen.
Wie lange haben Sie dafür gebraucht?
Charlotte Link: Ein halbes Jahr (lacht), in dem ich zwar nicht jede Nacht wach gelegen, aber doch sehr genau darüber nachgedacht habe. Ausschlaggebend war, dass ich nach Berlin geflogen bin, um mit der Produktionsgesellschaft, dem Drehbuchautor und dem Regisseur sehr offen über meine Vorstellungen zu sprechen. Ich hatte danach den Eindruck, auf offene Ohren und Verständnis gestoßen zu sein. Das hat mir Mut gemacht.
Haben Sie für die tragenden Figuren Ihrer Geschichte Schauspieler vor Augen gehabt?
Charlotte Link: Nein. Ich habe mein persönliches Bild von Figuren, die vor meinen Augen am Schreibtisch entstehen. Ich bin aber bei diesem Film extrem glücklich über die Besetzung. Es gab nicht eine einzige Rolle, bei der es für mich nicht passt. Ich bin auch sehr glücklich darüber, dass ein großer Teil der Rollen mit englischen Schauspielern besetzt wurde. Das macht den Film wesentlich authentischer.
…weil die Körpersprache anders ist…
Charlotte Link: …die ganze Mimik. Man erkennt es einfach. Es entsteht ein anderes Flair.
Wie entwickeln Sie Ihre Figuren? Malen Sie Bilder von Ihnen?
Charlotte Link: Ich entwickle die Charaktereigenschaften, die Ausstrahlung, die Haarfarbe, Augenfarbe. Dadurch habe ich sehr konkrete Bilder, die mich während des ganzen Schaffensprozess begleiten. Die Figuren sitzen sehr lebendig am Schreibtisch; sie sind für mich greifbar.
Welche innere Beziehung haben Sie zu England?
Charlotte Link: Für mich ist England eine Art Heimat, obwohl ich Deutsche bin. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dorthin zu gehören. Es ist ein Land, in dem ich mich stimmig fühle, und deshalb auch ein Land, das mich am besten inspiriert.
Ihre Geschichte führt zurück in die Nazi-Zeit. Welche Rolle spielt Geschichte für Sie?
Charlotte Link: Ich bin ein historisch wahnsinnig interessierter Mensch. Ich lese heute noch gern historische Biografien. In diesem Fall jedoch war es etwas anders. Ich hatte schon oft von der Verschickung der Kinder aus dem bombardierten London gelesen. Ursprünglich dachte ich, das sei sehr gut für die Kinder gewesen, weil sie dadurch vor den deutschen Bomben gerettet wurden. Dann habe ich die Geschichte einer Frau gelesen, die mir eine ganz andere Seite der Kinderverschickung gezeigt hat: Diese Zeit war für viele Kinder alles andere als rosig. Leute nahmen Kinder für Geld bei sich auf, und sie haben sie oft hungern lassen, damit sich das Geschäft rentierte. Viele Kinder kamen traumatisiert zurück. Es war damals ein vernachlässigtes Drama am Rande, und für mich war es ein Grund, mich in diesem Thema festzubeißen.