Essen. . Berlin überschätzt sich. Dieser Satz trifft oft genug zu, wenn Hauptstadtkünstler ihre Befindlichkeiten mit dem Szenechic der Spreemetropole in filmischen Einklang zu bringen versuchen. Aber jetzt ist mit „Oh Boy“ ein Film da, der alles anders macht, der nicht nur originell sein will.
Berlin überschätzt sich. Dieser Satz trifft oft genug zu, wenn Hauptstadtkünstler ihre Befindlichkeiten mit dem Szenechic der Spreemetropole in filmischen Einklang zu bringen versuchen. Aber jetzt ist mit „Oh Boy“ ein Film da, der alles anders macht, der nicht nur originell sein will. Es ist ein Film, der nicht nur den Wunsch hat zu unterhalten, sondern es tatsächlich macht und das auch noch gut.
Schwarzweiße Melancholie
Die Ästhetik ist Schwarzweiß, gedreht auf Zelluloid. Das verleiht Berlins Straßenfluchten eine melancholische Qualität, die sich wohltuend von der tristen Herkömmlichkeit sonstiger Stadtansichten abhebt und auf Anhieb Neugier schürt. Hinter einem der grauen Fenster sitzt Niko, mit einer Zigarette. Er hat den Blick sinnierend auf eine Straße gerichtet, auf der noch nichts los ist.
Der Tag hat gerade begonnen und es wird nicht Nikos bester sein. Er könnte dringend einen Kaffee gebrauchen, aber die junge Frau, bei der er die Nacht verbracht hat, kann nichts dergleichen anbieten. Wohl aber ihre Zuneigung und Liebe. Niko windet sich eher schlecht aus der Lage und kehrt in seine eigene, leere Wohnung zurück. Dann steht der Nachbar in der Tür, bringt Selbstgebackenes von seiner Frau mit und allerlei deprimierende Selbstbeschreibungen.
Eine ungewisse Zukunft
Niko hält durch, zieht wieder los. Er wurde zum Amt vorgeladen, wo ein Psychologe ihm emotionale Unausgeglichenheit attestiert und damit den Führerschein verweigert.
Der Weg zur Bank bringt auch keine Freude, weil am Automaten die Geldkarte einbehalten wird. Das ist nicht gut für einen Jungen von Ende 20, der die Uni geschmissen hat und nun vor der Erkenntnis steht, dass Papa ihm unwiderruflich den Geldhahn abdreht.
Niko trifft einen guten Kumpel, der ganz besonders lässig in den Tag hinein lebt und in der momentanen Situation auch deshalb keine wirkliche Hilfe darstellt, weil Niko selber längst nicht so locker ist. Wenn er doch bloß endlich einen Kaffee auftreiben könnte.
Ja, die Idee mit dem Kaffee, der irgendwie immer gerade nicht zu bekommen ist, entpuppt sich als einer der bestausgedachten Running Gags, die je im deutschen Kino erfunden wurden.
Eskalierende Hilflosigkeit
Auch sonst gibt es eine Menge zu lachen, wenn scheinbar ganz normale Situationen aus dem Ruder laufen und sich ins Absurde versteigen.
Tom Schilling ist dafür der perfekte Protagonist, der in eskalierender Hilflosigkeit zum Zuhören verdammt ist, wenn um ihn herum die Hölle der aufgestauten Emotionen losbricht. Stumm im Wirbel der Gefühle, sprachlos und passiv. Das Tolle ist, dass es nie laut, hysterisch oder vulgär wird. Der Humor in diesem außerordentlichen Film ist gewürzt mit trockenem Witz und Understatement, was auch daran liegt, dass hier Schauspieler (besonders Ulrich Noethen und Marc Hosemann) auftrumpfen, die man noch nie so anders und dabei so gut gesehen hat. Diese Außenseiterstory ist so lässig wie ein Kinotrip durch Londons Swinging Sixties. „Oh Boy“ hat den gewissen Kniff.