London. . Der Missbrauchs-Skandal um einstigen Topstar Jimmy Savile bringt die BBC in Erklärungsnot. Sexuelle Übergriffe fanden sogar vor laufender Kamera statt. Doch die BBC taugt nur bedingt zum Sündenbock: Kollektives Wegschauen war bei Saviles Übergriffen überall die Regel, wie immer neue Details zeigen.
Er betatschte Sekretärinnen, griff Studio-Gästen unter den Rock und quartierte sich nachts bei geistig Behinderten ein: Jimmy Savile, gefeierter Show-Moderator, gilt bei der Polizei mittlerweile als gierigster Sex-Täter Großbritanniens. In der Kritik steht vor allem die öffentlich-rechtliche BBC, die ihren Quotenstar nie in die Schranken wies.
Dabei narrte Savile nicht allein den Sender, sondern das ganze Land: Viele kannten sein Geheimnis, kaum jemand zog Konsequenzen. Der Skandal will einfach nicht von den Titelseiten verschwinden, so groß ist die Fassungslosigkeit in Großbritannien: Jimmy Savile, Ulknudel der Nation, soll sich jahrzehntelang an Kindern und jungen Frauen vergriffen haben. Hunderte Opfer haben sich seit seinem Tod im Jahr 2011 der Polizei anvertraut.
Der Schock sitzt tief, nicht nur, weil Savile für das Land ähnlich wie Dieter-Thomas Heck oder Thomas Gottschalk im deutschen Fernsehen eine Institution war. Der Zorn richtet sich längst gegen seinen Arbeitgeber, die BBC, bei der er seine Neigungen zeitlebens ungestraft unter dem Deckmantel kauziger Clownerie verstecken konnte.
Entertainer hatte ein enges Verhältnis zu Prinz Charles
Doch die BBC taugt nur bedingt zum Sündenbock: Kollektives Wegschauen war bei Saviles Übergriffen überall die Regel, wie immer neue Details zeigen. „Seine Besuche gaben stets Anlass zur Sorge“, erinnert sich nun etwa Dickie Arbiter, Pressemanager für Prinz Charles von 1988 bis 2000. Nicht einmal im Büro des Thronfolgers waren die Sekretärinnen vor Saviles Belästigungen sicher. „Im Sommer nahm er die Hand der jungen Damen und pflanzte Küsse über die volle Länge ihrer unbekleideten Arme“, so Arbiter.
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Eine große Szene konnten sich „die jungen Damen“ kaum leisten. Der hochdekorierte Entertainer hatte ein enges Verhältnis zu Prinz Charles und Prinzessin Diana. Es gab Dinner-Einladungen, Geschenke und gemeinsame Auftritte für wohltätige Zwecke.
Vergewaltigungsklagen stehen auch im Raum
Das Image des Hofnarren war Saviles sichere Tarnung: Er mimte bei der BBC mit schrägen Frisuren und schrillen Kostümen den Pop-Clown („Top of the Pops“) und nahm sich hinter der Bühne jede Freiheit. Mindestens einen Jungen missbrauchte er direkt in der Umkleide des Senders. Vergewaltigungsklagen stehen auch im Raum. Vorwürfe gibt es selbst aus Heimen für behinderte Kinder, die er finanziell unterstützte – ein weiterer Deckmantel für seine Pädophilie. Auch hier wurde weggeschaut.
„Wir wiesen die Kinder an, sich schlafend zu stellen, wenn er abends seine Runden drehte“, berichten ehemalige Heim-Angestellte. Eine düstere Ahnung hegte man auch bei der firmeneigenen BBC-Wohltätigkeitsorganisation „Children in Need“. „Wir hatten keine Beweise gegen ihn“, so der ehemalige Vorsitzende Roger Jones. „Aber wir fanden alle, dass er ein gruseliger Typ war.“ Kontakt zu beteiligten Kindern sollte daher vermieden werden. „Selbst ohne belastbares Material gegen ihn wollten wir uns absichern.“ Saviles Neigung mag bei der BBC ein offenes Geheimnis gewesen sein, eingeschritten ist niemand.
Show-Größen kommen ins Zittern
Sieben Kinder und Frauen haben Savile in seiner langen Geschichte von Fehltritten bei der Polizei angezeigt. Man konnte ihm nichts nachweisen, heißt es bei der Polizei. „Hätte man alle Vorwürfe zentral gesammelt, wäre das furchtbare Muster von Saviles Taten schon zu seiner Lebzeit erkannt worden“, heißt es selbstkritisch. 30 Polizisten arbeiten derzeit unter Hochdruck alle Opferklagen auf.
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Vor ihren Ermittlungsergebnissen zittern längst einige Senior-Größen im Showgeschäft, wie Promi-Berater Max Clifford britischen Blättern anvertraut: „Es war für Stars früher normal, hedonistisch zu leben. Sie wurden ja alle von schönen Mädchen belagert und haben bestimmt nicht nach dem Datum auf ihren Geburtsurkunden gefragt.“ 1976 griff Savile selbst in einer Live-Sendung einer 19-Jährigen wie selbstverständlich unter den Rock. „Ein Mann könnte sich an so etwas gewöhnen“, grinste der Entertainer neben der sichtlich schockierten Frau. Dann drehte die Kamera schnell ab.