Rom. . Steuerfahnder sind in Italien selbst zu Steuerbetrügern geworden. Fünf Männer wurden festgenommen - sie sollen Gemeinden mehr als 100 Millionen Euro vorenthalten haben. Mit dem Geld, so die Vorwürfe, sollen sie sich ausgiebig vergnügt haben: Von Yachten ist die Rede, von Reisen und Partys, sogar von einem Flugzeug.

Dass die Italiener jedes Jahr 130 bis 150 Milliarden an Steuern hinterziehen, das allein ist für den Staat ein Fiasko. Es geht aber immer noch schlimmer. Und zwar dann, wenn Steuereintreiber selbst zu Steuerbetrügern werden. Dann sind, wie jetzt entdeckt, auf einen Schlag und in einem einzigen Fall 100 Millionen Euro weg. Die Moral sowieso.

Die italienische Finanzpolizei hat in Ligurien den 52-jährigen Giuseppe Saggese und vier seiner Mitarbeiter festgenommen. Als Vermarkter öffentlicher Werbeflächen hatte Saggese einst angefangen. Danach verlegte er sich auf ein bei den Bürgern höchst ungeliebtes, aber einträgliches Geschäft: das Eintreiben rückständiger Steuern. Die Aufgabe treten Italiens Gemeinden und Finanzämter seit Ende der 90er-Jahre zunehmend an private Firmen ab.

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Yachten, Partys und ein Flugzeug

84 Gesellschaften dieser Art gibt es derzeit, Saggeses „Tributi Italia“ war Marktführer. Ihm hatten sich 496 Städte und Gemeinden anvertraut, aber statt der erwarteten Geldströme kamen höchstens Rinnsale in ihren Kassen an. Saggese verdiente nicht nur an den Provisionen (um die 30 Prozent). Er schaffte es auch mit allen möglichen Tricks, den Gemeinden mehr als 100 Millionen Euro vorzuenthalten. Mit dem Geld, so die Vorwürfe, sollen er und seine Kollegen sich ausgiebig vergnügt haben: Von Yachten ist die Rede, von Reisen und Partys, sogar von einem Flugzeug. Allein die Stadt Aprilia – 71 000 Einwohner, 40 Kilometer südlich von Rom – vermisst 20 Millionen Euro in ihren Kassen.

Seine eigenen Teilfirmen verschachtelte Saggese derart ineinander, dass die Finanzpolizei alle Mühe hat, den Weg der Gelder nachzuvollziehen. Pro Tag, so viel ist sicher, ließ Saggese bis zu 10 000 Euro für seinen persönlichen Bedarf von den Konten der Gesellschaft abheben. Noch viel mehr Geld allerdings, hat der Untersuchungsrichter jetzt befunden, dürfte längst im Ausland sein.

Schon 2009 geriet „Tributi Italia“ ins Visier der Finanzpolizei und verlor in der Folge die amtliche Zulassung. Weil man aber eine Firma mit 1000 Beschäftigten, 200 Beratern und einem Jahresumsatz von 364 Millionen Euro nicht einfach sterben lassen wollte, wurde Saggeses steuerfressende Agentur mit Steuergeldern gerettet.

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Bürgermeister zu luxuriösen Reisen eingeladen

Womöglich hat dabei Niccolò Ghedini eine gewisse Rolle gespielt. Er ist Leib- und Firmenanwalt von Silvio Berlusconi, sitzt für dessen Partei im Parlament und bastelt an vielen Gesetzen und anderen Rechtsakten mit. „Tributi Italia“ jedenfalls arbeitet bis heute weiter, und die Ermittler meinen, trotz staatlicher Zwangsverwaltung habe Saggese mindestens bis zu seiner Verhaftung von hinten die Fäden gezogen. Bleibt die Frage, warum die Gemeinden erst nach Jahren gemerkt haben, dass sie einem Betrüger aufgesessen sind. Ob da die luxuriösen Reisen eine Rolle gespielt haben, zu denen Saggese die Bürgermeister regelmäßig eingeladen hat? Oder andersartige Vernetzungen mit politischen Amtsträgern? Oder einfach Schlamperei in der eigenen Verwaltung?

Und überhaupt: Welcher Skandal kommt als nächstes ans Tageslicht in einem Italien, dem unter der „Technokraten“-Regierung Monti so manche partei- und interessenpolitisch gefilzte Decke weggezogen wird?