Essen. . Viele männliche Jugendliche trainieren sich wohl definierte Muskeln an, um ihre Leistungsstärke zu demonstrieren und Anerkennung zu bekommen. Weil sie den schnellen Erfolg wollen, gehen sie mitunter Risiken ein. Was Experten raten
Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen ist beides: Teil des Zeitgeists und ein heißes Thema. Eine wertfreie Debatte über Vor- und Nachteile scheitert oft an Ängsten oder Vorurteilen. Eltern denken schnell an merkwürdig aufgepumpte Muskelprotze, an Doping-Missbrauch und Folgeschäden durchs „Eisenfressen“. Doch so einfach ist das nicht, sagen Psychologen und Sportwissenschaftler.
Das sagt der Psychotherapeut
Werner Hübner behandelt seit vielen Jahren junge Männer, die beim Krafttraining Maß und Mitte verloren haben. Sie haben in der Regel zu Doping gegriffen, selbst dann noch, als „die Rache des Körpers bereits eingesetzt hatte“, so Hübner. Die jungen Menschen haben dafür bezahlt – mit Schlafproblemen, Rastlosigkeit, Aggressionen, Depressionen, organischen Schäden.
Vor drei Jahren etwa hat Hübner einen Wandel festgestellt. Heranwachsenden Männern gehe es nicht mehr darum, Muskelberge aufzubauen, sie wollten ihren Körper vielmehr „modellieren wie eine Skulptur“. Es gehe um Schönheit – der Körper als Kunstwerk und Ausstellungsstück. „Bei Jungen ist es relativ neu, dass sie den Körper als Visitenkarten entdecken, bei Mädchen gibt es dieses Phänomen schon länger“, sagt der Psychologe. Und: Der Köper stehe auch deshalb im Fokus, weil an ihm sehr schnell Veränderungen sichtbar würden.
Im Grunde sei dieses Verlangen normal, sagt Hübner. „Dass die männlichen Jugendlichen gut dastehen und leistungsstark sein wollen, ist sehr menschlich. Und es gehört durchaus zur Identitätsbildung, auch an seinem Körper zu arbeiten.“ Problematisch werde es aber, wenn sie bei der Liebe zum Körper kleben blieben, die Erfahrung ausbleibe, „dass es noch mehr gibt, was ich lieben kann“. Dahinter verberge sich eine Not, meist aufgeladen durch Erfahrungen des Ausgegrenztseins oder Mobbings, gegen die die Jugendlichen anarbeiteten. Im Ernstfall täten sie dies auch mit dem Einsatz von Zusatzmitteln.
Eltern, die Auffälligkeiten wahrnehmen, rät Hübner: „Sie sollten ihre Wahrnehmung ansprechen, ihre Sorgen formulieren, dabei aber nicht mit der Drogenkeule kommen.“ Es müsse darum gehen, die Not zu erkunden. Nicht der Fitnessdrink oder andere Präparaten seien das Problem, aber sie stünden für eines. Eltern könnten ein Gespräch darüber einleiten, indem sie über eigene Erfahrungen des Ausgegrenztseins berichteten.
Das sagt der Wissenschaftler
Andreas Strack von der Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement und Co-Autor des Buches „Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen“ sagt: „Richtig betriebenes Krafttraining führt bei Kindern und Jugendlichen zu positiven Gesundheitseffekten, zur Minderung von Haltungsschäden oder organischen Schwächen.“ Die Forschungslage dazu sei eindeutig. Bei einem dem Entwicklungsstand angepassten Training und richtiger Anleitung sei das Gesundheitsrisiko gering. Aber: Der Mensch im Allgemeinen und Jugendliche im Besonderen seien nicht immer von der Vernunft gesteuert. „Sie lieben den einfachen Weg zum schnellen Erfolg“, so Strack. Das mache sie manipulierbar. Unkontrollierte Übungen, etwa explosive Bewegungen mit hohen Gewichten, seien nicht nur trainingswissenschaftlich kritisch einzustufen, sie seien riskant.
Das A und O bei Kindern und Jugendlichen sei die fachkundige Anleitung. Jugendliche, die diese durch Ratgeber oder Tipps von selbsternannten Experten in Internet-Foren ersetzten, riskierten, „sich Schädigungen am Bewegungsapparat anzutrainieren“, so Strack. Freies Hanteltraining oder Training in Fitness-Klubs sei ohne eine verantwortungsvolle Betreuung für Jugendliche nicht zu empfehlen. Darüber hinaus rät Strack: „Bevor Kinder und Jugendliche Krafttraining machen, sollte ein Arzt um Rat gefragt werden. Er kann Wachstumsschübe oder Haltungsveränderungen, die in der Pubertät normal sind, sehr viel besser beurteilen.“
Das sagt der Trainer
Holger Wiedemann ist seit fast zwei Jahrzehnten ausgebildeter Trainer in einem Fitness-Klub in Mülheim. Ein gesetzliches Mindestalter für eine Mitgliedschaft in den Studios gibt es nicht. „Bei uns ist eine Mitgliedschaft erst ab 16 möglich und auch nur mit Erlaubnis der Eltern“, so Wiedemann. Der Trainer weiß: „Männliche Jugendliche neigen dazu, schnell Muskeln aufbauen zu wollen. Und das läuft dann viel zu sehr über die zu stemmenden Gewichte.“ Oft fehle die mentale Stärke, die Geduld für ein kontrolliertes Training mit sanften Bewegungen. Auch Wiedemann plädiert für ein geführtes Training sowie einen vorbeugenden Arztbesuch.
Bodybuilding
Dass Eltern bei Jugendlichen mit mahnenden Worten oft nicht ankämen, liege an deren natürlichen Abgrenzungstendenzen. Er empfiehlt Tipps von erfahrenen Sportlern aus dem Bekanntenkreis, von Menschen mit starker Persönlichkeit, die auch mit ihrer Körperlichkeit überzeugen könnten. Sollte tatsächlich eine Entscheidung für ein Fitness-Studio anstehen, rät der Trainer: „Die Eltern sollten mehrere Klubs und deren Philosophie vergleichen. Sie sollten das Umfeld in Augenschein nehmen und das Personal ansprechen.“