Montpelier. . Vier rüstige alte Damen gegen ein Atomkraftwerk im grünen US-Ostküstenstaat Vermont. Marcia, Hattie, Ruth und Priscilla sind renitenter, als die Polizei erlaubt. Aber in den Bau kommen sie dennoch nicht.

Marcia Gagliardi hat ihren Trödelladen drüben in der rot lackierten Scheune im idyllischen Athol, US-Staat Vermont, für ein Stündchen abgeschlossen. Im Wohnzimmer ist der „Kriegsrat der radikalen Ladies“ zusammengetreten. So nennen sie sich. Hattie, Ruth und Priscilla. 65 die Jüngste, 85 die Älteste, sind schon da. Ihre Autos tragen angegilbte Aufkleber, die mit „No“ anfangen.

Die Damen haben ihre in Eigenregie gebatikten T-Shirts angezogen. Flowerpower-Atmosphäre aus den 60ern. Es gibt selbst gemachten Früchtetee. Aus dem Lautsprecher dringt Gloria Gaynors Hymne „I will Survive“. Dem Besucher werden eng bedruckte Flugblätter in die Hand gedrückt. Marcia Gagliardi berichtet kurz über die bevorstehende Protest-Flotille mit Kayaks und Ruderbooten auf dem Connecticut River. Und davon, dass beim letzten Mal wieder „niemand von uns da endete, wo wir hinwollten – im Gefängnis“. Allgemeines Nicken. Die dienstältesten Anti-Atom-Aktivistinnen Amerikas nehmen ihre Lebensaufgabe ernst. „Wir leisten Widerstand“, sagt Marcia Gagliardi, „bis Yankee endlich dichtgemacht wird.“

Yankee, so heißt der 1972 in Betrieb genommene Atom-Meiler in der Nähe von Brattleboro im saftgrünen Bundesstaat Vermont. Eines von 104 Kernkraftwerken in den USA, die zusammengerechnet 20 Prozent des Energiebedarfs der Vereinigten Staaten erzeugen. Bis zum 11. März 2011 nahm, abgesehen von den Umweltbewegten unter den 600 000 Vermontern, kaum jemand Notiz von dem betagten AKW im Nordosten der USA. Dann kam das Desaster von Fukushima. Und Yankee wurde über Nacht landesweit zum Symbol für „das, was so furchtbar schiefläuft zwischen Politik und Atomindustrie in diesem Land“. Tony Klein sagt den Satz. Der kleine, drahtige Demokrat mit dem Baseball-Käppie, Vorsitzender des Umweltausschusses, kann sich noch immer in Rage reden, wenn zu schildern ist, was unmittelbar nach der Katastrophe geschah.

Während Bundeskanzlerin Angela Merkel in Deutschland den Turbo-Ausstieg aus der Nuklear-Energie verfügte, gab die oberste Atom-Genehmigungsbehörde der USA „Entergy“, dem Betreiber von Yankee, kurz nach dem GAU in Fernost ohne Auflagen grünes Licht für 20 weitere Betriebsjahre. 20 Jahre. Ohne Auflagen. Gegen den Willen von Landesregierung und Parlament. Obwohl der Siedewasserreaktor Yankee zu 100 Prozent baugleich mit Fukushima ist.

„Die gründlichen Deutschen, die BMW und Mercedes groß gemacht haben, verabschieden sich aus der Atom-Energie. Und wir winken sie ungeprüft durch. Das war ein harter Schlag ins Gesicht“, berichtet Klein in einem kleinen Café in der Hauptstadt Montpelier. Seither ist für den Studien-Kollegen der „Grünen“-Gründungsfigur Petra Kelly klar, dass Amerika keine „Aufsichtsbehörde hat, sondern nur Handlanger der Atomindustrie“.

Peter Bradford, ein weltweit anerkannter Nuklear-Experte, der zu Zeiten der Katastrophe von Three Mile Island in Harrisburg 1979 in der Genehmigungsbehörde NRC saß, hält das für überspitzt. Er glaubt, dass sich das Problem, „bis auf die abgebrannten Brennstäbe“, von selbst erledigen wird. „Bei allen Alt-Anlagen in Amerika gehen die Instandhaltungskosten durch das Dach“, sagt der Gutachter, „unterdessen ist der Strom aus Wind, Wasser, Biomasse und Schiefergas bis zu 50 Prozent billiger als Atom-Energie.“ Derzeit bringe Atomstrom vier Cent pro Kilowattstunde, vor Jahren waren es bis zu sieben Cent. Bradfords Prophezeiung: „2050 ist es mit der Atom-Energie in Amerika vorbei.“

Solange wollen Marcia Gagliardi und ihre Mitstreiterinnen nicht warten. Sie verlangen den Ausstieg „now“ – sofort. Die alten Damen, 20 bilden den harten Kern, kennen das Werk, seine Geschichten und Pannen auf dem Effeff. Vor fünf Jahren erst stürzte ein Kühlturm auf dem Betriebsgelände ein. 2010 trat radioaktives Tritium aus unterirdischen Rohren aus, deren Existenz der Betreiber solange unter Eid abstritt, bis das Gegenteil bewiesen war. Der Connecticut River wurde verseucht. Marcia Gagliardi: „Und der Meiler liegt direkt gegenüber einer Schule.“

Wann immer sich die Gelegenheit bietet, üben die „Shut Downers“, die „Schließt-das-AKW-Frauen“, zivilen Ungehorsam. Mal blockieren sie die Einfahrt des Kernkraftwerkes, mal betreten sie das Gelände oder verhindern, dass die Unternehmensleitung aus den Dienstautos steigen kann. Alles friedlich. Über 20 Verhaftungen, sagt die 85-jährige Ruth, habe sie schon „auf dem Kerbholz“. Und noch mal so viele Anzeigen. Nur ins Gefängnis kam sie bisher noch nie. Der Sheriff und seine Leute, sagt die „radikale Lady“, gönnen uns den PR-Erfolg nicht. „In einem Gerichtssaal würde das ganze Land zuhören und erfahren, wie gefährlich Yankee Vermont ist.“