Mexiko-Stadt. Zwei Millionen Menschen in Brasilien nehmen regelmäßig illegale Drogen. Das Land ist der zweitgrößte Absatzmarkt für Kokain. Zwei jahre vor der Fußball-WM im eigenen Land. setzt die Regierung auf systematische Razzien, auch über Grenzen hinweg.

Brasilien hat in den vergangenen Jahren einen rasanten Aufstieg gemacht. Das größte Land Lateinamerikas ist mittlerweile die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt. Mit den Jahren entstand eine breitere Mittelschicht, stiegen Wohlstand und Kaufkraft. Und ­damit offenbar auch die Verführ­barkeit für Rauschgift. Die Gesundheitsbehörden Brasiliens warnen, Kokain- und Crack-Konsum hätten dramatisch zugenommen.

Rund zwei Millionen Menschen griffen inzwischen regelmäßig zu dem weißen Pulver oder seinem ­Billig-Derivat. Brasilien hat sich demnach hinter den USA zum wichtigsten Absatzmarkt für ­Kokain entwickelt. Der Rauschgiftabsatz in Entwicklungs- und Schwellenländern nähere sich ­inzwischen dem der Industrie­nationen „in Besorgnis erregender“ Weise an, warnte kürzlich auch das UN-Büro für Drogen- und Krimi­nalitätsbekämpfung (UNODC) anlässlich der Vorstellung des Weltdrogen-Berichts.

Abkommen mit den Nachbarn

Angesichts dieser Zahlen wollen die brasilianischen Behörden nicht nur den Konsum im Land bekämpfen, sondern auch verhindern, dass die Drogen aus Nachbarländern ins Land gelangen. In den vergangenen vier Jahren hat die Regierung in ­Brasilia mit fast der Hälfte der zehn Nachbarstaaten entsprechende Kooperations­abkommen abgeschlossen. Grenzüberschreitende Polizeieinsätze mit Drogenfahndern anderer Länder seien inzwischen mit Bolivien, Peru, Kolumbien und Paraguay vereinbart. Venezuela soll demnächst dazukommen. Erst kürzlich hatten brasilianische und peru­anische Sondereinheiten, unterstützt von US-Rauschgiftfahndern, in Peru Kokainlabors und Kokaplantagen zerstört. Brasilien ist für Drogenkartelle nicht nur ein lukrativer, sondern auch ein vergleichsweise leicht zu beliefernder Markt. Das Rauschgift muss nicht durch mehrere Länder über Wasser oder Land an streng überwachten Grenzen vorbei in die USA gebracht werden. Brasiliens Grenze mit zehn lateinameri­kanischen Ländern ist 17.000 Kilometer lang und liegt an den meisten Stellen in unzugäng­lichem Urwald. Die längsten ­Abschnitte sind dabei die Grenzen zu den drei größten Koka-Pflanzern und Kokain-Pro­duzenten Kolumbien, Peru und ­Bolivien.

Vor allem in Peru und Bolivien sind in Grenznähe Kokain-Küchen entstanden, deren Produkte ausschließlich für den brasilianischen Markt bestimmt sind. Nach Erhebungen der zuständigen Sonder­einheit der brasilianischen Bundespolizei stammt 90 Prozent des in Brasilien verkauften Kokains aus Bolivien und Peru, nur zehn ­Prozent aus Kolumbien. Das Land ist nach wie vor mit großem ­Abstand Hauptlieferant für die USA. Zusätzlich kommen vier Fünftel des in Brasilien konsumierten Marihuanas aus Paraguay.

Einsätze in den Bürgervierteln

Insgesamt 3500 brasilianische Bundespolizisten sind allein dafür zuständig, den Drogenschmuggel an den Grenzen des riesigen Landes und den Verkauf in den Favelas und den Mittelklassevierteln zu unterbinden. Unterstützt werden sie seit Juni vergangenen Jahres von regelmäßigen Militäreinsätzen an Brasiliens Grenzen. Damit will Präsidentin Dilma Rousseff Präsenz zeigen und so die Kartelle am Schmuggel und Grenzübertritt hindern.

Erst vor kurzem beendeten die Streitkräfte die fünfte dieser Militäroperationen in einem Jahr. 17.drogen000 Soldaten hatten dabei einen knapp viertausend Kilometer langen Grenzabschnitt durchkämmt. Der Einsatz dauerte 15 Tage und Nächte; 31 Drogenschmuggler wurden festgenommen und sechs Tonnen Rauschgift beschlagnahmt, erklärte das Verteidigungsministerium in Brasilia zum Abschluss. Die Regierungen der betroffenen Nachbarländer seien über die Aktion informiert gewesen und hätten Beobachter entsandt, hieß es weiter lapidar.

Dabei stößt Brasiliens Politik der Härte gegen die Kartelle vor allem wegen der grenzüberschreitenden Einsätze in einigen Ländern auf Gegenwind. Boliviens Präsident Evo Morales wirft den Brasilianern vor, sie führten sich ebenso wie die ungeliebten USA als muskelprotzende Regionalmacht auf. Tatsächlich erinnert das Vorgehen Brasiliens an den berüchtigten „Plan ­Colombia“, mit dem die USA seit 2000 in Kolumbien erst den ­Drogenkampf und später den Kampf gegen die aufständischen Gruppen mit Geld, Logistik, ­Beratern und Soldaten vor Ort unterstützt haben.

Den Drogenhandel, den Anbau von Koka und die Produktion von Kokain konnte das nicht stoppen, sie verlagerten sich vielmehr nach Peru und Bolivien. „Brasilien wiederholt die gleichen falschen ­Methoden, die sich woanders als untauglich erwiesen haben“, kritisiert denn auch Beatriz Vargas, Drogenexpertin von der Nationalen Universität Brasiliens, den Aktionismus ihrer Regierung.