Washington. . Forscher sind von der Geschwindigkeit alarmiert, mit der das Eis im Nordpolarmeer schmilzt. Mit nur noch 4,1 Millionen Quadratkilometern erreicht die eisbedeckte Fläche einen neuen Tiefstwert, teilt das US-Schnee-und-Eis-Datenzentrum mit.

Wissenschaftler sind von dem rasanten Abschmelzen des Eises im Nordpolarmeer alarmiert. Mit nur noch 4,1 Millionen Quadratkilometern erreiche die eisbedeckte Fläche einen neuen Tiefstwert, teilt das US-Schnee-und-Eis-Datenzentrum (NSIDC) mit. Die Forscher werten seit 1979 die Eisausdehnungen anhand von Satellitenaufnahmen der NASA aus. Normalerweise bedeckt das Meereis in der Nordpolregion mehr als 15 Millionen Quadratkilometer. Es schmilzt im Sommer und nimmt ab Mitte September wieder zu.

Eisfreier Nordpol wäre ein Turbo für die Erderwärmung

Das bisherige Rekordtief von 2007 werde in diesem Jahr noch um weitere 70 000 Quadratkilometer unterschritten, so das NSIDC. Sehr überrascht sind die Forscher von dem frühen Zeitpunkt des Negativrekords. Der arktische Sommer dauert noch bis September, die Schmelze werde sich demnach noch einige Wochen fortsetzen. Die Messungen seit 1979 zeigten, dass die Ausdehnung des Eises jedes Jahrzehnt um rund zwölf Prozent abnimmt.

Als Anfang August heftige arktische Stürme tobten, wurde die geschlossene Eisfläche aufgebrochen, was der Sonne mehr Angriffsfläche bot, erklärt NSIDC-Forscher Walt Meier. Doch sehen die Wissenschaftler die Hauptursache in der von Menschen verursachten Erderwärmung. Meier stellt fest: „Die Eisschmelze in den vergangenen Jahren liegt weit außerhalb der Spanne natürlicher Vorgänge.“ In wenigen Jahrzehnten werde die Arktis im Sommer komplett eisfrei sein. Warum ist das ein Problem?

Chance für die Ölmultis

Ein eisfreier Nordpol wäre ein Turbo für die Erderwärmung, denn das Meereis wirkt wie eine Klimaanlage: Es hält die Region kühl und beeinflusst auch das Klima im Süden. Eine geschlossene Eisdecke reflektiert 80 Prozent der Sonnenstrahlung zurück ins All. Offenes Wasser aber nimmt einen großen Teil der Wärmeenergie auf, speichert sie und gibt sie später wieder an die Atmosphäre ab. Dies treibt Klimaveränderung an und beschleunigt wiederum die Eisschmelze. Wissenschaftler vermuten, dass die zusätzliche Energie das Wetter auf der gesamten Nordhalbkugel verändern könnte. Ozean- und Klimaforscher wissen heute noch nicht exakt, wie sich das Wetter des Planeten durch die Eisschmelze verändert, sie sind aber sicher, dass es geschehen wird. Eine im April veröffentlichte US-Studie sieht Zusammenhänge zwischen der Schmelze und extremen Wetterphänomenen wie Dürren, Hitzewellen und Starkregen.

Für die Energiemultis ist die schwindende Eisdecke hingegen eine große Chance. Sie bereiten sich darauf vor, riesige Öl- und Gasfelder anzuzapfen. Gazprom ist bereits in der Arktis aktiv, Rosneft und Exxon wollen ab 2015 mit Bohrungen beginnen. Ein Fünftel der weltweit unerschlossenen Lagerstätten werden in der Region vermutet. Angesichts des sensiblen Ökosystems und der schwierigen Förderbedingungen sehen Kritiker die Entwicklung mit Sorge.