Essen. . Susanne Lothar hat sich unauslöschlich in das Bewusstsein vieler Menschen eingebrannt, die den Film und das Theater lieben. Jetzt ist die wunderbare Schauspielerin mit gerade einmal 51 Jahren gestorben. Warum, das wissen wir noch nicht.

Wie persönlich darf so ein Nachruf sein? Darf man sagen, dass es, wenigstens für eine Weile, traurig macht, jemanden zu verlieren, den man nicht einmal persönlich gekannt hat? Ist es gar anmaßend? Susanne Lothar hat sich unauslöschlich in mein Bewusstsein eingebrannt und in das vieler Menschen, die den Film und das Theater lieben. Diese zierliche, wunderbare Frau, diese Schauspielerin voller Kraft und Leben, voller Zartheit und Stärke, die trotz aller Hogers, Berbens, Elsners ohne Vergleich war in Deutschland, ist mit gerade einmal 51 Jahren gestorben, warum, das wissen wir noch nicht.

Welche Tragik, ihr Mann Ulrich Mühe starb vor fünf Jahren mit 54, er hatte Krebs, auch er ein ganz Großer der Bühne, des Fernsehens und des Kinos. Das Paar hinterlässt zwei eigene Kinder und drei aus Mühes Ehe mit der Schauspielerin Jenny Gröllmann, die ihrerseits 2006 mit 59 dem Krebs zum Opfer fiel. Vorausgegangen war ein zermürbender Rechtsstreit mit Mühe, der ihr öffentlich Stasi-Kontakte vorgeworden hatte.

Susanne Lothar hat einen Auftritt in Michael Hanekes Filmdrama „Das weisse Band“, den man nicht vergessen kann, wenn der Gefühlshaushalt noch funktioniert, eine schreckliche Szene, bei der man losheulen will und nur durch die eigene Schockstarre die Tränen unterdrücken kann.

Gebrochenen, verzweifelten Frauen gab sie Anmut

Als Hebamme ist sie seit langem heimlich mit dem Arzt im Dorf liiert, der sie in ihrer Abhängigkeit hemmungslos missbraucht. Jetzt aber ist er sie satt, und demütigt sie in kühlem Ton mit einem Wortschwall fortgesetzter Erniedrigungen, eine Folter, die sie, kaum merklich zitternd, auf sich herabregnen lässt. Wer der Hilflosigkeit dieser zerbrechlichen Frau zusieht, die mehr ertragen muss, als man einem Menschen antun darf, wer ihrer stockenden Stimme zuhört, die die Tränen niederkämpft, der kommt von ihr nicht mehr los: Es war die große Kunst dieser Schauspielerin, uns so anzufassen, dass wir das Gefühl nicht vergessen. Es waren die schwierigen Menschen, die gebrochenen, verzweifelten Frauen, denen sie Anmut und Würde gab, in deren Lebensabgründe sie uns blicken ließ. Wer hätte das überzeugender vermocht als sie? Und wer tut es nun?

Susanne Lothar füllte die abgedroschene Phrase vom Schauspieler, der an die Grenzen geht, mit Inhalt. Kein Wunder, dass Michael Haneke sie nicht nur für „Das weisse Band“ verpflichtete, sondern auch für den Psychothriller „Funny Games“, der so hart ist, dass man ihn kaum aushalten kann. Mit Ulrich Mühe spielt sie darin ein Ehepaar, das in der Beschaulichkeit seines Einfamilienhaus-Alltags von zwei jungen Sadisten zu Tode gequält wird. Der Horror und die schauspielerische Hochleistung besteht darin, wie vergeblich und immer verzweifelter sich das Paar bemüht, die Peiniger von ihrem grausamen Vorhaben abzubringen, wie es zwischen Hoffnung und Entsetzen hin- und hergeschleudert wird.

Zuhause am Theater mit seinen allerbesten Adressen

Natürlich war es zuerst und vor allem das Theater mit seinen allerbesten Adressen in Wien und ihrer Heimatstadt Hamburg, das die Wahl-Berlinerin berühmt machte. Ihre ebenso wilde wie verletzliche Kindfrau „Lulu“ in Peter Zadeks Inszenierung Ende der 80er Jahre brachte ihr Ruhm und Preise, unter anderem den der „Schauspielerin des Jahres“. Auch ihre Eltern waren vor der Kamera und auf der Bühne zuhause, Ingrid Andree und Hanns Lothar, der manchen wenn auch nur als Hac­ken zusammenknallender Assistent Schlemmer in Billy Wilders hinreißender Komödie „Eins zwei drei“ in Erinnerung geblieben ist.

Es ist nicht gewagt, zu behaupten, dass Susanne Lothar auch banaleren Stoffen wie „Tatort“- oder „Polizeiruf 110“-Krimis immer etwas Besonders verlieh, weil ihre totale Hingabe an den Beruf jederzeit zu spüren war. Mag schon sein, dass niemand unersetzlich ist. Aber an den Verlust dieser Frau will man sich nicht gewöhnen.