Washington. . Nach dem Attentat in Colorado wird über die Bestrafung des Täters James Holmes spekuliert. Hinterbliebene fordern „maximal denkbares Strafmaß“. Dass die Verteidigung ihren Mandanten als geisteskrank und unschuldig einstufen wird, gilt als ausgemacht
Der erste Kunde von Bernie Conatser am vergangenen Samstag stand schon vor der Tür, da waren die zehn Leichen im Century-16-Kino von Aurora, US-Staat Colorado, nicht mal abtransportiert. Der Chef des größten Waffengeschäfts in Manassas vor den Toren der amerikanischen Hauptstadt Washington ist daran gewöhnt. „Nach solchen Massakern kommen Leute zu mir, die dachten, sie würden niemals eine Waffe benötigen”, sagt der Familienvater. Plötzlich wird ihnen bewusst, dass sie sich selbst verteidigen müssen.”
Auf 30 Prozent beziffert der seit 1996 im legalen Waffenhandel tätige Mann aus dem Bundesstaat Virginia den Umsatzanstieg seit dem Amoklauf des 24-jährigen James Eagen Holmes. Kein Einzelfall. Landesweit gehen Waffenverkäufe immer dann sprunghaft nach oben, wenn Unfassbares geschieht. In Denver selbst wurden seit Freitag 45 Prozent mehr Sicherheitsüberprüfungen beim FBI registriert. Eine Routine, der sich jeder potenzielle Waffenkäufer unterziehen muss. Warum?
Die Sorge mancher Bürger, dass die Politik in Washington sich im Licht einer Katastrophe wie der in Aurora doch an den zweiten Verfassungsgrundsatz machen könnte, der den privaten Waffenbesitz in den USA großzügig gestattet, hält Bernie Conatser für zweitrangig. Zu groß sei „die Angst der Abgeordneten und Senatoren” davor, vom Volk bei der nächsten Wahl abgestraft zu werden. In der Tat, die Zustimmung zu schärferen Waffengesetzen ist in den vergangenen Jahren in landesweiten Umfragen um 35 Prozent gesunken. Conatser: „Viele stellen jetzt einfach fest: Hey, ich gehe auch gern ins Kino. Und ich will nicht irgendeinem Irren schutzlos ausgeliefert sein.”
Bis zum Urteil können Jahre vergehen
Für Craig Silvermann ist der Blick zurück müßig. „Wenn hier nicht die Todesstrafe beantragt wird, kann man das Gesetz auch gleich vergessen.” Der frühere Bezirksstaatsanwalt von Denver County steht nach dem Amoklauf von Aurora mit seiner Meinung nicht allein. Holmes, so sagen etliche Familien der insgesamt zwölf Toten und fast 60 Verletzten, die der 24-Jährige auf dem Gewissen hat, verdiene das „maximal denkbare Strafmaß”.
Bis es soweit kommen kann, können Jahre vergehen. Frühestens 2013 wird mit dem Prozessbeginn gegen den Studenten aus Kalifornien gerechnet. Sollte Chef-Anklägerin Carol Chambers für die Todesstrafe plädieren, sind „zwei bis vier Jahre” Prozessdauer „ein realistischer Rahmen”, sagen Rechtsexperten. Angenommen, eine Jury würde dem folgen, stünde weiteres Warten an, bis den Angehörigen der Opfer endgültig Genugtuung widerfahren könne. In Colorado wurde seit Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 erst ein einziger Mensch exekutiert. 2009 fehlte im Parlament des Bundesstaates nur eine Stimme, und die „death penalty” wäre ganz abgeschafft worden.
Todesstrafe oder geisteskrank
Chambers weiß, dass der öffentliche Druck, Holmes maximal zu bestrafen, „enorm sein wird”. Zumal sich bereits andeutet, wie die Gegenseite agieren wird. Daniel King und Tamara Brady, die Pflichtverteidiger von Holmes, dessen Familie in San Diego den Opfern ihres Sohnes öffentlich kondolierte, werden auf Zeit spielen, sagt Jura-Professor Sam Kamin aus Denver. Dass die Verteidigung ihren Mandanten als geisteskrank und unschuldig einstufen wird, gilt für ihn als ausgemacht. Die akribische Vorausplanung, der schrittweise Kauf der Waffen und Munition, die Verkleidung als Robocop, so Kamin, sprächen allerdings dafür, dass James Holmes bei vollem Verstand war, als er das Kino in einen Alptraum verwandelte.