Strathmore.. In der kanadischen Prärie feiern einmal im Jahr Schwulen und Lesben beim „Homo-Rodeo“. Grelle Mode überwiegt – bei ihnen, aber auch beim Stier. Der muss damit leben, dass sein Styling zum separaten Programmpunkt wird.

Charlie Rooney hat heute sein erstes Mal. Der junge Cowboy trägt Helm, blickt seinem Gegenüber tief in die Augen, dann klettert er in die Box aus Metall. Plötzlich öffnet sich die Tür, der Stier stürmt hinaus und schlägt wild um sich.

Charlie ist schwul und hatte gerade sein Coming-out. Auf einem Rodeoplatz, bei über dreißig Grad Hitze, in Strathmore, einem 12.000-Einwohner-Örtchen in der Prärie von Kanada. „Es war eine Überwindung.“

Einmal im Jahr ist das Stadion der Agrargenossenschaft von Strathmore Schauplatz eines speziellen Rodeos für Schwule und Lesben – dem einzigen dieser Art in Kanada. Es ist eine Art Christopher-Street-Day in der Provinz: Am Eingang grüßt eine Cowboy mit einer Federboa um den Hals, auf einer Bühne spielt eine Country-Band Songs der Village People.

Auf der Festwiese ist eine Zeltstadt aufgebaut, in der Teilnehmer und Besucher wohnen. An vielen Wohnwagen und Pferdeanhängern wehen Regenbogenfahnen. Auf der Weide grasen Gäule mit glitzernden Sternen auf ihrem Hinterteil oder ein goldenen Kettchen am Schweif.

Calvin-Klein-Unterhose für die Ziege

Lustig geht es zu – beim „Goat Dressing“ etwa müssen sie einer Ziege möglichst schnell eine Calvin-Klein-Unterhose überstreifen. Beim „Steer Decorating“ werden Stieren farbige Taschentücher um den Schwanz gewickelt. Beim „Wild Drag“ besteigen die Kandidaten die Tiere im schrillen Fummel, verkleidet als Drag-Queen, Astronaut oder Mickey Maus.

Anderseits ist der dreitägige Event aber auch eine ausgesprochen maskuline Sache. Es gibt Preisgelder und auch gefährliche Wettbewerbe wie etwa das Bullenreiten, Kälberfangen oder Pferderennen - wie bei jedem anderen Rodeo auch. Nichts für Weicheier also. Wer dabei besteht, der ist endgültig aufgenommen in der Welt der schwulen Cowboys und lesbischen Cowgirls.

Höhepunkt des Jahres für schwule Cowboys

Wie Charlie Rooney. Nach seinem bravorösen Ritt ist der schlacksige Junge mit dem hellbraunen Cowboy-Hut einer von ihnen. Bislang wußten nur seine Eltern und ein paar enge Freunde, dass er auf Jungs steht. Das hat sich jetzt geändert. 5.000 Zuschauer waren Zeugen seines Auftritts, darunter Reporter und Fotografen. In der Lokalpresse ist das schwule Rodeo der Hit. Jetzt gibt es kein Zurück.

Für schwule Cowboys ist das Rodeo der Höhepunkt des Jahres. Hier feiern sie und messen sich mit Gleichgesinnten. Das ist nicht selbstverständlich. Zwar gehört Kanada zu den fortschrittlichsten Ländern der Welt: Seit Jahren können Schwule und Lesben zwischen Halifax und Vancouver heiraten und sogar Kinder adoptieren. Auf dem Land aber gibt es noch immer Vorurteile. Vor allem im Cowboy-Country von Alberta, wo die Menschen oftmals noch traditioneller denken als im Rest des Landes.

„Als wir vor 18 Jahren das erste schwule Rodeo veranstalten wollten, haben wir keinen Farmer gefunden, der uns Tiere für die Wettkämpfe zu Verfügung stellen wollte“, sagt Greg Holsworth von der „Alberta Rockies Gay Rodeo Association“, die das Rodeo veranstaltet. Im zivilen Leben ist Greg Personalchef bei einem Verkehrsunternehmen. Heute trägt er Cowboystiefel, eine knallenge Bluejeans mit einer riesigen Gürtelschnelle und ein lila Shirt mit dem Auftruck „Rodeo Tucke“.

Rodeos gehören zum Lebensstil dazu

Greg berichtet, dass auch heute noch vereinzelt Nörgler beim Rodeo auftauchen, um gegen das angeblich unsittliche Treiben zu protestieren. Immerhin trägt man hier seine Muskelpakete offen zur Schau und so manches Badehose könnte kaum knapper geschnitten sein. Doch das ist die große Ausnahme.

Die Zeiten ändern sich, auch im „Bible Belt“ von Kanada. Rodeos gehören in diesem Teil des Landes zum Lebensstil dazu und das verbindet - egal ob Hetero oder Homo. „So mancher alteingesessene Farmer schaut sonntags nach dem Gottesdienst bei uns vorbei und freut sich an unserer Show“, sagt Greg. „Die Menschen hier sind liberaler als sie oft zugeben.“

Von Fortschritten berichtet auch Judy Munson. Die Endfünfzigerin nimmt seit 17 Jahren an dem Rodeo teil. „Am Anfang waren wir eine Mini-Gruppe und haben die Öffentlichkeit gescheut“, sagt sie.

Als Lehrerin musste sie um ihren Job fürchten, weil sie lesbisch ist. Heute hat sich Judy mit ihrer Frau ein Ranch im Süden von Alberta gekauft mit 15 Pferden und ein paar Hühnern. Mit ihren Nachbarn kommt sie gut klar, sagt sie. Bisweilen hilft man sich beim Viehauftrieb oder beim Kastrieren der Bullen. Wie das eben so üblich ist hier. „Wir haben das Bild von Schwulen und Lesben auf dem Land verändert“, ist sie überzeugt.

Es geht vor allem ums Mutmachen

Geschichten wie diese haben letztlich auch Charlie Rooney Mut gemacht. Auf dem Rodeo in Strathmore hat er gelernt, dass es noch andere schwule Cowboys gibt wie er. Die genauso gerne ausreiten, hart zupacken und die raue Wildnis mögen. „Ist ja nicht ausgeschlossen, dass ich auf diesem Rodeo auch einen Freund finde“, sagt Charlie und schmunzelt. Es wäre sein erster.