London. . Als Junge blies er Trompete, fürs „Weiße Album“ setzte er sich ans Schlagzeug, und für ein Video „spielte“ Paul sogar Kettensäge.
Da muss sich Ringo Starr schon was einfallen lassen, wenn sein alter Bandkollege Paul McCartney heute 70 wird. Denn immerhin überraschte McCartney den Beatles-Drummer zu dessen 70. Geburtstag auf ganz besondere Weise. Er stürmte bei einem Konzert von Ringos All Starr Band in New York am Ende auf die Bühne und spielte den rockigen Beatles-Klassiker „Birthday“.
McCartney – ein Mann der Überraschungen. Das gilt auch für seine kreative Arbeit. Denn McCartney, einen der erfolgreichsten Musiker und Komponisten der Gegenwart, auf Hits wie „Yesterday“ und „Silly Love Songs“ zu reduzieren, würde viel zu kurz greifen. Und fernab von den großen bunten Schlagzeilen – zum Beispiel über seine Scheidung und zuletzt die dritte Ehe mit Nancy Shevell – warten immer noch einige nur selten erzählte Geschichten. Hier geht’s los.
Der Trompeter
Inzwischen gibt es sogar Bücher, die sich ausschließlich mit dem 6. Juli 1957 befassen, dem Tag, an dem sich der fast 17-jährige John Lennon und der gerade 15 gewordene Paul McCartney auf einem Kirchenfest im Liverpooler Stadtteil Woolton erstmals begegneten. John spielte dort mit seinen Quarrymen und Paul hatte kurz zuvor die vielleicht wichtigste musikalische Entscheidung seines Lebens getroffen – und sich rechtzeitig eine Gitarre angeschafft. So konnte er, nachdem er perfekt Eddie Cochrans „Twenty Flight Rock“ vorgespielt hatte, bei John einsteigen.
Zuvor hatte er wie sein Vater Trompete gespielt, aber ihm wurde schnell klar, dass er mit diesem Instrument das mit dem Singen wie Elvis vergessen konnte. Dennoch begleiten ihn Blechblasinstrumente bis heute. Auf drei Stücken seines 2005 erschienenen Albums „ Chaos And Creation In The Backyard“, eines seiner besten, spielt er das Flügelhorn.
Die Rühreier
Ganz ohne „Yesterday“, dem mit mehr als 3000 Versionen meistgecoverten Song aller Zeiten, geht’s aber doch nicht. Bevor McCartney 1965 den Song ohne die anderen Beatles nur mit einem Streichquartett einspielte, hatte er ihn lange liegen lassen. Ohne richtigen Text. Und so hieß der Song zunächst „Scrambled Eggs “ („Rühreier“), was sich dann im Weiteren auf „Oh, my Baby, how I love your legs“ reimte. Mit viel Spaß und Augenzwinkern gab es im Dezember 2010 plötzlich einen kompletten „Rühreier“-Text, der auch noch leidenschaftlich gesungen wurde – live von McCartney selbst zusammen mit dem „Late Night“-Gastgeber Jimmy Fallon in dessen US-Fernsehshow. Herrliche Selbstironie.
Der Schlagzeuger
Die meisten kennen McCartney als Musiker, der den Bass mit anspruchsvollen Phrasierungen von seiner Funktion als schlichtes Begleitinstrument befreit hat – doch mitunter war er auch der Schlagzeuger der Beatles – zu hören etwa auf „Back In The USSR“ von 1968. Drummer Ringo war nach einem Streit aus der Band ausgestiegen, doch die Aufnahmen für das „Weiße Album“ mussten weitergehen – McCartney übernahm. Als Ringo zurückkehrte, hatte George Harrison für ihn das Studio mit Blumen dekoriert.
Schlagzeug spielte McCartney immer wieder, 1969 etwa auf Steve Millers Single „My Dark Hour“ oder auf vielen Songs seiner Solo-Alben. Nicht zu vergessen das letzte Mal, als John und Paul gemeinsam Musik machten. Zwar dachte 1974 alle Welt, die beiden hätten sich nichts mehr zu sagen, tatsächlich aber besuchte McCartney damals in Los Angeles Lennon bei einer Session, an der auch Stevie Wonder teilnahm – und spielte Schlagzeug.
Hiroshima
Die Beatles brauchten Lennons große Liebe Yoko Ono nicht, um sich zu zerstreiten und die Band aufzulösen. Das schafften sie 1970 auch so. Aber natürlich gab es Spannungen. Dass heute zwischen McCartney und Ono ein harmonisches Verhältnis herrscht, liegt auch daran, dass sich beide musikalisch näher kamen. 1995 nahmen Yoko Ono mit Sohn Sean Lennon sowie Paul und Linda McCartney mit ihren Kindern Mary, Stella, Heather und James im englischen Rye gemeinsam „Hiroshima Sky Is Always Blue“ auf – als mahnende Erinnerung zum 50. Jahrestag des Abwurfs der Atombombe auf die japanische Stadt. Eine bis heute unveröffentlichte Aufnahme.
Die Kettensäge
Der Traditionalist Paul und der experimentierfreudige John. Das hat so nie ganz gestimmt – und McCartney, der etliche Orchesterkompositionen veröffentlicht hat („Standing Stone“ / 1997), hat immer intensiv daran gearbeitet, das unter Beweis zu stellen. So hat er Soundcollagen ebenso eingespielt wie Dance- und Trancemusik – letzteres unter dem Pseudonym „The Fireman“.
Als er 1999 in Siegen seine erste eigene Kunstausstellung präsentierte, setzte er mit der Videoinstallation „Feedback“ ein avantgardistisches Ausrufezeichen. Monitore auf Stelen zeigten McCartney entweder mit Gitarre oder Kettensäge. Die dazugehörigen Klänge und Geräusche auf sechs Endlos-Bändern bauten sich zu immer neuen atonalen Klangbildern auf.
Für eine Überraschung ist er also immer gut. Das nächste Album kommt bestimmt. Und auch das aktuelle vom Jahresanfang sorgte für Staunen: „Kisses On The Bottom“ enthält nichts als alte Jazz-Standards. Ganz entspannt und einfühlsam interpretiert – was wiederum mal keine Überraschung ist.