Duisburg. „100 Prozent schwerbehindert“ steht auf Herr M.s Ausweis. Jede Woche muss er zum Arzt. Doch wo der Duisburger dort parken soll, ist sein Problem. Die Stadt Duisburg hat seinen Antrag auf Anspruch auf einen Behindertenparkplatz abgelehnt.
Herr M. (Name der Redaktion bekannt) ist ein kranker Mann. In den vergangenen Jahren kämpfte der Duisburger unter anderem mit drei Operationen gegen Darm- und Leberkrebs, hatte zeitweise einen künstlichen Darmausgang. Vor sieben Jahren kam die Diagnose: Parkinson. Vor allem gegen dieses Leiden strampelt er mühselig an. Damit er überhaupt auf sein Ergometer steigen kann, braucht der 76-Jährige Hilfe. M.’s Frau schafft das nicht mehr. Herr M. hat einen Ausweis, der ihn als 100 Prozent schwerbehindert ausweist. Zugestanden wird ihm in diesem Ausweis ein „B“ für die notwendige Begleitung, falls er mit Bus und Bahn unterwegs sein will, was er aber gar nicht kann, weil er kaum bis zur Haltestelle kommt und operationsbedingt immer wieder sehr schnell eine Toilette aufsuchen muss. Alles in allem, glaubte M., reiche das aus, um den Ausweis für einen Behindertenparkplatz zu bekommen. Und war bitter enttäuscht, als von der Stadt Duisburg neulich die Ablehnung kam.
Zwar ist er 100 Prozent behindert, aber eben nicht, wie es heißt, „mit einem Grad der Behinderung von 80 % allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich das auf das Gehvermögen auswirkt)“.
Der schleppende Gang
Wenn Herr M. geht, dann ist es der typische, unsichere, schleppende Gang der Parkinson-Patienten. Und der, heißt es in dem Schreiben vom Amt für Stadtentwicklung und Projektmanagement weiter, bedeutet nach Prüfung des Sozialamtes, „dass Sie die gesundheitlichen Voraussetzungen zur Bewilligung der Parkerleichterungen für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen (…) nicht erfüllen“.
„Parkplätze sind ein knappes Gut“
Dorothee Czennia, Sozialexpertin beim Sozialverband VdK, weiß, dass die strenge Regelung „aus Sicht eines jeden einzelnen Betroffenen bitter ist“.
Parkplätze im öffentlichen Raum seien ein „allzu knappes Gut“. Nur Schwerstbehinderten wie beispielsweise querschnittsgelähmten oder beidseitig beinamputierten Rollstuhlfahrern wird die Möglichkeit gegeben, sich auf die extra breiten Parkplätze zu fahren.
Gleichwohl gebe es erheblich mehr Ausweisinhaber als Behindertenparkplätze.
Und der Eindruck, dass diese immer leer stünden, könne sie nur begrüßen: „Das sollen sie auch. Denn gerade für den Moment, in dem ein Rollstuhlfahrer einen solchen Platz braucht, muss er auch frei sein!“
Herr M. hat sich noch als gesunder Mann im ländlichen Duisburger Stadtteil Baerl eine schöne Eigentumswohnung gekauft und bereits behindertengerecht umbauen lassen. Vom Balkon aus hat er einen weiten Blick über die Felder. Aber: „In Baerl können Sie nicht mal Streichhölzer kaufen.“ Zum Einkaufen fährt M. in seinem Kleinwagen mit extra hohem Einstieg ins vier Kilometer entfernte und zu Moers zugehörige Meerbeck. Bei Aldi, Lidl & Co. „geht es mit den Parkplätzen noch“. Mindestens einmal pro Woche jedoch muss er zum Arzt, zum Hausarzt, Neurologen, Urologen, Internisten, fast alle in der Nachbarstadt Moers, die viel näher ist als Duisburg: „In Moers kann man nur schlecht parken. Da bin ich immer nervös. Man weiß ja, wie es bei den Ärzten ist. Sie haben einen Termin, dann finden Sie keinen Parkplatz in der Nähe. Dann muss ich weiter weg parken und komme zu spät, und schon ist ein anderer Patient vor mir dran und ich muss warten.“ Schlimm sei es auch, so M., wenn er dann auf dem Weg auch noch dringend zur Toilette muss. Bei seiner Suche im Behördendschungel nach Hilfe gab es den fast zynischen Rat, abzuwarten: Mit dem Parkinson käme das Merkzeichen „aG“ für „außergewöhnlich behindert“ ja irgendwann automatisch. „Aber dann gehe ich auch nicht mehr vor die Tür!
Leidensgenossen in Internetforen
Ein Sonderfall? Nein. In den einschlägigen Foren behinderter Menschen im Internet ist das Thema Parkerleichterung ein viel diskutiertes. „Ich kann unter anderem mein rechtes Bein nicht mehr belasten und demzufolge auch weder einkaufen noch sonst was tun. Arztbesuche sind ein Grauen (…). Seit einiger Zeit habe ich dafür einen Rollstuhl und trotzdem keinen Anspruch (mehr) auf eine Ausnahmegenehmigung, (letztes Jahr wurde sie mir noch mit Auge zudrücken für sechs Wochen erteilt)“, schreibt jemand stellvertretend für viele Betroffene im „Forum für Unfallopfer“.
Angesichts der knappen Parkplätze und der steigenden Zahl alter – und damit oft auch gehbehinderter Menschen gibt es seit 2009 eine bundesweite Neuregelung für eine Ausnahmeparkgenehmigung für schwerbehinderte Menschen, die bislang nicht die strengen Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ vorweisen können. Auch NRW hat dieser Ausnahmeregelung – sie gibt es formlos bei den Straßenverkehrsämtern – zugestimmt.
Hilfe aus Gutmütigkeit
Herr M. hat tatsächlich gerade eben von der Stadt Duisburg jenen orangen Ausweis bekommen, der ihm zwar nicht erlaubt, auf den mit dem Rollstuhl gekennzeichneten Parkplätzen, aber doch im eingeschränkten Halteverbot, in Lade- und Fußgängerzonen und an Parkuhren ohne Zeitlimit zu parken. „Aus Gutmütigkeit hat mir eine Sachbearbeiterin da sehr geholfen“, sagt er dankbar.
Das könnte ihm das Leben erheblich erleichtern. Wenn nicht auch hier die kaltherzige Bürokratie wieder zugeschlagen hätte. M., der als Duisburger seine ganze Infrastruktur, vor allem die Ärzte, im nahen Moers hat, fragte beim dort zuständigen Amt, ob sein Duisburger Ausweis auf Moers übertragbar sei. Antwort vom Amt: „Das können wir nicht verantworten!“