Essen. . 350 Tonnen aus dem Chemieunfall sollen hier entsorgt werden. Man könnte es ein staatlich organisiertes Müllgeschäft nennen. Eine Belebnung der nicht ausgelasteten Sondermüll-Verbrennungsanlagen. Umweltschützer protestieren
Man könnte es ein staatlich organisiertes Müllgeschäft nennen: Mit Genehmigung des Bundeswirtschaftsministeriums verhandelt die GIZ (Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit) mit der indischen Provinzregierung in Madhya Pradesh. Das Ziel: In Deutschland sollen 350 Tonnen Giftmüll aus Bhopal verbrannt werden.
Müll, der nach der größten Chemiekatastrophe in der Geschichte dort liegen blieb. Am 3. Dezember 1984 waren aus der Pestizidfabrik des US-Konzerns Union Carbide etwa 40 Tonnen hochgiftiges Methylisocyanat (MIC) ausgetreten. 8000 Menschen starben während der Katastrophe, 15 000 an den Spätfolgen, mindestens 100 000 sollen an chronischen Erkrankungen leiden.
„Wir sorgen für eine nachhaltige Entwicklung, schaffen Chemikaliensicherheit“, erläutert Hans Stehling von der GIZ. Um welche Stoffe es sich konkret handelt, mag er nicht sagen. Auch beim Dienstherrn der GIZ, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, gibt man sich gestern wortkarg. „Man äußert sich nicht über laufende Vertragsverhandlungen“, teilte Pressesprecher Felix Reifschneider mit.
Giftmüll aus Australien wurde 2007 gestoppt
Die Nerven, so scheint’s, liegen ein wenig blank. Öffentlichkeit ist nicht erwünscht. Weckt sie doch schmerzliche Erinnerungen. Erst 2007 musste nach geballtem Bürgerprotest der Import von 11 000 Tonnen hochgiftigen Abfalls aus Australien vom damaligen NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg sozusagen in letzter Minute gestoppt werden.
Der Protest gegen die Aktion formierte sich gestern bereits. „Der Giftmüll muss dort bearbeitet werden, wo er angefallen ist“, erklärte Barbara Kamradt von Greenpeace. Natürlich müsse man den Indern helfen. „Wir haben das Know-How, keine Frage“, sagt Kamradt. „Wir sollten die Technologie nach Indien liefern und nicht den Müll dort abholen.“
Umweltschützer formieren ihren Protest
Auch die Naturschutzorganisation BUND ist gegen die Aktion. „Es ist bezeichnend, dass die gleichen Mechanismen wie vor fünf Jahren greifen sollen“, erklärt NRW-Abfallexpertin Claudia Baitinger. „Die nicht ausgelasteten deutschen Abfallverbrennungsanlagen mit ihren Überkapazitäten gieren inzwischen nach Müll, denn sonst müssten sie Kapazitäten abbauen“, so Baitinger.
Laut statistischer Erhebung des Bundesumweltamtes in Dessau wurde der Import von Sondermüll in Deutschland seit dem Jahr 2000 (1 985 000 Tonnen) bis 2010 (7 627 000) mehr als verdreifacht. Wobei die Mitarbeiter in Dessau dem Import von Müll aus Bhopal gelassen gegenüberstehen. „Wir haben die Technik“, sagt Markus Gleis. Bundesweit gebe es sieben Anlagen, die hochgiftige Stoffe problemlos verbrennen könnten. Mit den Öfen der AGR in Herten, von Bayer in Leverkusen und Dormagen, befinden sich drei davon in NRW.
Düsseldorf müsste Verbrennung in NRW genehmigen
Noch ist Bhopal-Müll in NRW-Behörden offiziell kein Diskussionsstoff. „Uns liegen keine Anfragen vor“, sagt AGR-Sprecher Michael Block. „Das Thema ist bisher hier nicht aufgeschlagen“, heißt es lapidar aus dem NRW-Umweltministerium. In Düsseldorf müsste der Transport des Giftmülls und die Verbrennung in einer hiesigen Anlage genehmigt werden.
Das muss die GIZ nach Unterzeichnung eines Vertrages mit den Indern regeln. Wann das sein wird? Die GIZ mag sich nicht äußern. Der indische Minister Chidambaram schon. Gegenüber der „Hindustan Times“ erklärte er, die GIZ habe versprochen, die Zustimmung der deutschen Regierung in fünf Tagen zu bekommen.
Verbrennung in Indien war politisch nicht durchsetzbar
In Bhopal freut man sich über die Lösung. Denn eine Verbrennung in einer Anlage im nahen Pithampur war politisch nicht durchsetzbar. „Die Anlage dort ist noch nicht voll in Betrieb und der Versuch, giftigen Abfall dort zu verbrennen, könnte zu einer Katastrophe führen“, befürchtet der Inder Prade Kumar.