Essen. . Experten kritisieren die Behörden wegen ihrer Passivität im Fall des Mordes an der elfjährigen Lena im Emden.

Wie konnte das passieren? Am Tag eins nach Bekanntwerden der folgenschweren Ermittlungspanne im Mordfall Lena beherrscht diese Frage die Gemüter der Menschen. Wie konnte der 18-jährige David H. die Elfjährige missbrauchen und töten, obwohl gegen ihn seit Monaten ermittelt wurde?

Nachdem ihn sein Stiefvater im Oktober letzten Jahres bei der Polizei wegen pädophiler Neigungen angezeigt hatte. Nachdem David H. im November 2011 mit einem Psychologen im Kommissariat Emden erscheint und angibt, im Oktober 2010 ein siebenjähriges Mädchen, die Freundin seiner kleinen Schwester, im Haus seiner Eltern entkleidet und nackt fotografiert zu haben.

Bei der Polizei erklärt er ebenfalls, dass er zwei Monate stationär in der Jugendpsychiatrie Aschendorf behandelt wurde. Die Polizei hört zu, lässt den jungen Mann gehen.

Eine Selbstanzeige als Bedingung für eine Entlassung

Der David H. begleitende Therapeut habe die Selbstanzeige zur Bedingung einer Entlassung gemacht, sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer dieser Zeitung. „Das sind Therapieträume, die Wirklichkeit sieht brutal anders aus“, meint Pfeiffer. So brutal, dass David H. am folgenden Tag versucht, eine Joggerin in Emden zu vergewaltigen. „Wir müssen die Therapiearbeit kritisch hinterfragen“, fordert Pfeiffer.

Das sieht Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann anders. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass nicht unmittelbar Maßnahmen ergriffen wurden.“ Denn die Beamten in Emden leiten die Selbstanzeige lediglich an die Polizeiinspektion Aurich weiter. Der Tatvorwurf: Kinderpornografie.

Polizei Aurich stellt einen Antrag auf Hausdurchsuchung

„Das hätte richtigerweise unter sexuellem Missbrauch geführt werden müssen“, erklärt Niedersachsen Polizeidirektor Volker Kluwe gestern. Denn dann hätte man Fingerabdrücke und Speichelproben nehmen müssen, hätte die versuchte Vergewaltigung womöglich vor dem Mord an Lena aufklären können, hätte David H. verhaften können. Hätte den Mord womöglich verhindert, denn ein Inhaftierter kann kein Kind töten.

Nichts dergleichen passiert. Am 6. Dezember stellt die Polizei Aurich bei der Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Hausdurchsuchung wegen des Vorwurfs der Kinderpornografie. 14 Tage später wird der Durchsuchungsbeschluss vom zuständigen Amtsgericht Hannover erlassen, der am 30. Dezember in Aurich eingeht. Durchgeführt wird die Durchsuchung nicht. Jedenfalls nicht, bis zu jenem schrecklichen 24. März, an dem Lena sterben muss. Harsche Worte findet der Kölner Anwalt Wolfgang Breidenbach: „Die Beschlüsse sind drei Monate lang gültig, durch die Langsamkeit und Faulheit der Behörden werden sie aber oft nicht rechtzeitig umgesetzt.“

Ein individuelles Fehlverhalten

Arbeitsüberlastung der Polizei schließt Schünemann aus. Obwohl 2011 allein in Hannover 1800 Fälle von Kinderpornografie bearbeitet wurden. „Nach dem Durchschauen der Akten müssen wir davon ausgehen, dass es sich um ein individuelles Fehlverhalten handelt.“ Alles weitere müssten die nun eingeleiteten Ermittlungen ergeben. Und zwar; möglichst schnell.