Essen. Angesichts des Lecks an der Gasplattform in der Nordsee haben Experten vor einer Explosion gewarnt. Es könnte zu einer Explosion kommen, wenn das austretendes Gas mit der an der Spitze der Förderplattform brennenden Fackel in Kontakt kommt. Ein Sprecher von Total trat den Befürchtungen entgegen.
Zehntausend Kubikmeter Gas strömen pro Stunde aus dem Leck der Total-Plattform in der Nordsee und bilden eine leicht entzündliche Gaswolke auf dem Wasser. Zugleich brennt auch drei Tage nach der Evakuierung der Anlage hoch oben über der Förderplattform immer noch eine Gasfackel. Jederzeit könnte die gesamte Anlage explodieren, warnen Experten. „Ein Funke genügt für eine Explosion“, sagt Kurt M. Reinicke, Professor für Bohr- und Produktionstechnik an der TU Clausthal der WAZ.
Das Horrorszenario
„Das wäre das Horrorszenario“, so Reinicke. „Im Moment weht der Wind das Gas jedoch von der Fackel weg. Doch wenn der Wind einschläft. wird es gefährlich.“ Zudem ist das austretende Methan schwerer als Luft und habe die Flamme bislang nicht erreicht. Das erste Ziel müsse es jetzt sein, die Fackel zu löschen und das Gasleck zu orten, so Reinicke. Nach Angaben des Betreibers Total würden derzeit alle Möglichkeiten geprüft, die Fackel abzudrehen.
Das Abfackeln ist nötig, weil Gas unmittelbar nach der Förderung nicht ans Festland transportiert werden kann. Zunächst müssen bestimmte Inhaltsstoffe verbrannt werden. Ob man die Fackel bei der eiligen Evakuierung schlicht vergessen hat oder ob es Probleme dabei gab, ist noch unklar.
Die Sperrzone
Am Sonntag hatte der französische Energiekonzern die undichte Stelle an der Förderplattform „Elgin“ vor der schottischen Ostküste bemerkt. 238 Arbeiter wurden wegen des Explosionsrisikos in Sicherheit gebracht. Auch Shell hat seine Arbeiter von der benachbarten Förderinsel „Shearwater“ in Sicherheit gebracht.
Rund um die havarierte Plattform breitet sich ein Ölfilm aus. Ein Gebiet von gut drei Kilometern um „Elgin“ herum wurde für den Schiffsverkehr gesperrt. Auch Hubschrauber müssen die Plattform in einem Abstand von fünf Kilometern umfliegen, was Rettungsarbeiten aus der Luft unmöglich macht.
Die Ursachen
Britische Behörden und Konzernsprecher erklärten, für Mensch und Natur bestehe derzeit nur geringe Gefahr. Das Gas werde sich in der Atmosphäre verflüchtigen, enthalte jedoch giftigen Schwefelwasserstoff und sei leicht brennbar. 1988 explodierte in der Nordsee die „Piper Alpha“ nach einem „Methan-Blowout“, 167 Menschen starben. Auch die Plattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko sank im April 2010 nach einer Gasexplosion, elf Menschen kamen zu Tode.
Über die Ursachen des Lecks gibt es nur Vermutungen. Zwar ist die Nordsee an dieser Stelle nur etwa 90 Meter tief, doch wird das Gas aus 6000 Meter Tiefe gefördert. Es steht unter hohem Druck und ist etwa 190 Grad heiß. Prof. Reinicke: „Die Bohrung war seit einem Jahr nicht mehr in Betrieb und verschlossen. Wahrscheinlich ist die Unter-Tage-Technik korrodiert, also verrostet. Was anderes kann ich mir nicht vorstellen.“
Das Gift
Naturschützer warnen bereits vor den verheerenden Folgen für die Umwelt. „Schwefelwasserstoff ist schon in geringen Konzentrationen hoch toxisch, ähnlich giftig wie Blausäure“, erklärt der Meeresbiologe Gunnar Gerdts vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung auf Helgoland.
Wenn das Gasgemisch über längere Zeit ins Wasser gepumpt werde, könnten größere Zonen in der Nordsee entstehen, in denen keine Lebewesen mehr existieren können. Der Ölfilm auf dem Wasser macht dem Biologen weniger Sorgen: „Das sind leicht flüchtige Stoffe, die von Mikroorganismen schnell abgebaut werden.“
Die Rettung
Wie das Leck verschlossen werden kann, ist noch unklar. Total spricht von einer Entlastungsbohrung, um den Druck zu mindern, damit Ingenieure die Stelle abdichten können. Das würde aber Monate dauern. Womöglich könne man das Bohrloch auch mit Schlamm verschließen. Am besten wäre es, so ein Total-Manager, wenn die Gasquelle in den nächsten Tagen oder Wochen einfach versiegt.