Essen.. Inan Türkmen hat ein Buch geschrieben: „Wir kommen“ heißt es und räumt mit den gängigen Klischees auf. Auf nur 95 Seiten versucht der 25-jährige Österreicher, so manches Vorurteil zu entkräften. Kämpferisch und provozierend.
Breites Wienerisch, charmantes Lachen. Der erste Eindruck von Inan Türkmen will nicht so recht passen. Dabei hat der 25-jährige Österreicher, Student der internationalen Betriebswirtschaft, Sohn eingewanderter Kurden aus der Türkei, ein kämpferisches Buch geschrieben. „Wir kommen“ heißt es und erscheint dieser Tage auch in Deutschland. Es lässt eher an einen zornigen jungen Mann denken. Auf nur 95 Seiten versucht Türkmen so ungefähr jedes existierende Vorurteil gegen Türken zu entkräften.
Herr Türkmen, sind Sie wütend?
Türkmen: Ich bin unglaublich wütend (lacht). Ich hatte das Glück, sehr privilegiert aufzuwachsen. In meinem Umfeld in Linz gab es keinen Rassismus. Aber auf einmal wirst du älter und es gibt Menschen - Menschen, die man für seine Mitbürger hält... Es gab eine Zeit, in der ich sehr wütend war und in der mir das sehr nahe ging.
Es gebe hunderte Geschichten von Alltagsrassismus, die er erzählen könne, sagt Inan Türkmen. Eine davon dient als Einstieg für sein Buch. Sie spielt in Berlin und hat sich genau so zugetragen, wie er versichert. An einer U-Bahn-Haltestelle in Berlin schaut er etwas zu lange zu zwei Männern und einer Frau hin. Es läuft unausweichlich auf ein „Was du wollen?“ hinaus.
Man liest Ihrem Buch die Genervtheit über solche Erlebnisse an. Sie holen zum Gegenschlag aus, indem Sie den Mitteleuropäern in fünf vor Selbstbewusstsein strotzenden Kapiteln erklären, wie falsch sie mit ihren Ansichten über Türken liegen. Dazu ist Ihr Buchcover das Abbild einer türkischen Fahne. Muss das sein?
Türkmen: Das Problem ist, dass man schon oft versucht hat, das Thema mit schönen Worten zu umschreiben. Ich habe schon so viel darüber gelesen, das war alles viel zu sanft. Du musst provozieren, um gehört zu werden. Aber ich beleidige keinen.
So manche Angst werden Sie damit aber weiter schüren...
Türkmen: Es ist nicht meine Absicht, jemandem Angst zu machen. Vielleicht bin ich ein Träumer, aber ich würde gerne ein paar Leuten die Augen öffnen.
Die Titel der Kapitel: „Wir sind mehr“, „Wir sind jünger“, „Wir sind hungriger“, „Unsere Wirtschaft wächst schneller“, „Wir sind stärker“. Man erfährt, dass der Frauenanteil im türkischen Topmanagement fast sechs Mal höher ist als der EU-Durchschnitt, in der Türkei die viertgrößten Wein-Anbauflächen der Welt liegen, die Türkei im europäischen Raum hinter Großbritannien die meisten Facebook-Nutzer hat. Dennoch wird das Land nicht glorifiziert. Menschenrechtsverletzungen, mangelnde Pressefreiheit, Türkmen argumentiert auf dieser Seite ebenso klar und deutlich wie auf der anderen.
Aufgeregt wie ein Kind, das es allen beweisen will, fährt er mit seiner Aufzählung fort: Türkische Designer gewinnen an Einfluss. Wiens bekannteste Konditorei gehört einem Türken. In der Türkei boomen Handel und Tourismus, werden Autobahnen gebaut, ebenso wie Shopping-Malls und Kunstgalerien. Und in Deutschland – machen die Dönerstände fast dreimal so viel Umsatz wie Mc Donald’s.
Sie sind in Österreich geboren, haben seit kurzem auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Warum dieses „ihr“ und „wir“?
Türkmen: Ich bin mit „wir“ aufgewachsen. In unteren sozialen Schichten ist das Gruppengefüge immer stärker. Aber meine Eltern haben mir nie gesagt, die Österreicher sind scheiße oder die Türken sind scheiße - schließlich sind wir ja Kurden. Mit ,ihr’ meine ich keine ethnische Gruppe, sondern alle Menschen, die nie nach links und rechts schauen. Die glauben, dass es zu viele Türken in ihrem Land gibt und dass dies ihr Land herunterzieht.
Und wer sind „wir“?
Türkmen: Alle, die zwischen zwei Welten wandern, ohne Rassismus und ohne Vorurteile. Ich kenne so viele erfolgreiche Beispiele. Diese Menschen werden Europa politisch und kulturell beeinflussen. Und ich bin überzeugt davon, dass dies friedlich geschehen wird.
Inan Türkmen selbst lebt diesen Weg vor. Früher hat der junge Autor auch mal zugeschlagen, wenn er mit Vorurteilen konfrontiert wurde. „Heute“, sagt er „,schreibe ich lieber ein Buch“.