Oslo. . Ein gutes halbes Jahr nach dem Doppelanschlag auf Utöya und Oslo mit insgesamt 77 Toten hat die Staatsanwaltschaft am Freitag in Oslo Anklage gegen den Täter Anders Behring Breivik erhoben. Ob Breivik wirklich psychisch schuldunfähig ist, soll durch zweites Gutachten überprüft werden. Gleichzeitig mehren sich Hinweise darauf, dass der Geheimdienst Warnungen vor Breivik verschlafen hat.

Am Freitag hat Norwegens Oberstaatsanwaltschaft Anklage gegen Anders Behring Breivik erhoben. Der 33-Jährige hat zwar zugegeben, am 22. Juli 2011 auf der Insel Utöya schwerbewaffnet und mit Polizeiuniform getarnt 69 Morde begangen zu haben. Dennoch plädiert der Mann, ein Ex-Mitglied der mächtigen norwegischen rechtspopulistischen Partei, weiterhin auf nicht schuldig.

Er tue als Kreuzritter des Christentums im Krieg nur seine Pflicht, wiederholte er bei Vernehmungen. Mit dem Massenmord an den 69 Kindern und Jugendlichen der Sozialdemokratischen Partei auf Utöya und dem Bombenanschlag auf die Regierungskanzlei mit acht Toten habe er die Arbeiterpartei dafür bestrafen wollen, dass sie so viele Moslems ins Land lässt und deshalb „ein Dolch im Rücken der norwegischen Kultur“ sei.

Doch laut Rechtsexperten der norwegischen Medien wird Breivik, dessen Zurechnungsfähigkeit noch immer heftig umstritten ist, wegen „Terrorverbrechen durch Mord“ angeklagt, die mit dem bewussten Ziel durchgeführt wurden, „grundlegende Gesellschaftsfunktionen“ zu stören und „Panik in der Bevölkerung“ Norwegens zu schaffen.

Doch auch der Frage, ob Breivik wegen „paranoider Schizophrenie“ zum Tatzeitpunkt tatsächlich unzurechnungsfähig war, wie es im offiziellen psychiatrischen Gutachten festgestellt wurde, geht die Anklage nach.

Großer öffentlicher Druck

Obwohl die verantwortlichen und durchaus renommierten Rechtspsychiater wiederholt unterstrichen, dass sie sich völlig sicher über ihre Diagnose seien, dass kein Zweifel herrsche, wird nun wegen des großen öffentlichen Drucks ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben – ein Novum in der Nachkriegsgeschichte Norwegens. Weil Breivik, der zwar selbst immer noch unterstreicht, völlig zurechnungsfähig zu sein, sich dem verweigern wollte, wird er nun 24 Stunden am Tag zwangsbeobachtet.

Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor erklärt, dass sie sich nach dem Urteil von Fachleuten entweder auf lebenslängliche Haft oder psychiatrische Zwangsunterbringung plädieren werde. Doch das zweite Gutachten schafft einen Präzedenzfall. Falls Breivik darin als schuldfähig erklärt werden sollte, ist ungeklärt, welches der beiden Gutachten für das Urteil ausschlaggebend sein wird. Rechtshistorisch haben sich norwegische Richter im Urteil stets an die Empfehlungen der psychiatrischen Gutachten gehalten.

Der Fall Breivik dürfte diese als zu mild kritisierte Rechtspraxis verändern. „Advokaten und Richter sehen zunehmend ein, dass man zu viel Entscheidungsmacht an die Rechtspsychiater abgegeben hat“, so Experte Knut Amas in der führenden Tageszeitung Aftenposten.

Am Donnerstag, einen Tag vor der Anklageerhebung, hatte die staatliche Untersuchungskommission, das „22.-Juli-Komitee“, offiziell behauptet, der norwegische Geheimdienst PST hätte Breiviks Taten verhindern können. Die Kommissionsmitglieder betonten, dass der Geheimdienst ihm vorliegende Informationen darüber, dass Breivik auffällig große Mengen an Chemikalien zum Bombenbau besaß, nicht beachtet hatte. So sollen E-Mails, in denen der PST gewarnt wurden, nicht einmal geöffnet worden sein. Auch im Justizministerium wurden die alarmierenden Emails zu Breiviks umfangreichen Chemikalien-Einkäufen ungeöffnet gefunden.

Der Prozessbeginn ist auf den 16. April angesetzt. Breiviks Anwälte haben aber mitgeteilt, dass ihr Mandant vor dem Auftakt einem ausländischen Sender noch ein großes TV-Interview geben wolle. Das ist nach norwegischem Recht nicht verboten.