Duisburg. . Die Duisburger wählen ihren Oberbürgermeister mit deutlicher Mehrheit ab. In Walsum, der Heimat Adolf Sauerlands, gehen die Meinungen auseinander. Die Kommentare reichen von „Er ist doch einer von uns“ bis „Er hätte die Verantwortung von Anfang an übernehmen müssen.

Sie ist nervös. Die Duisburgerin weiß, sie ist Teil eines historischen Prozesses. Noch nie hat in NRW eine Stadt ihren Oberbürgermeister abgewählt. Die Duisburger haben es getan: Sie schicken Adolf Sauerland (CDU) in die Wüste.

Sie selbst hat mit „Nein“ gestimmt – Sauerland hätte ihrer Meinung nach im Amt bleiben sollen. Die Entscheidung fiel ihr nicht leicht: Es ist Mittag. Minutenlang streift die ältere Dame durch die Gänge, schaut sich Sport-Urkunden und Klassenfotos an den Wänden an. Dort, wo sonst die Klasse 2a der Wehofener Grundschule Textaufgaben löst, soll sie über das Schicksal ihrer Stadt mitentscheiden.

„Die Abwähler können ganz schön aggressiv werden“

Die Walsumerin ist hin- und hergerissen. Auf der einen Seite müsse jemand wegen der Loveparade-Tragödie den Hut nehmen, auf der anderen Seite sei „ihr“ Oberbürgermeister ja nicht alleine Schuld. „Die Katastrophe war schlimm, aber er hat den Leuten doch nicht absichtlich geschadet“, flüstert sie. Keiner soll mitbekommen, dass sie gegen die Abwahl gestimmt hat. „Wenn ich das offen zugebe, fangen die Diskussionen wieder an.“ Besonders in der Innenstadt fühle sie sich in letzter Zeit sehr unwohl. „Die Abwähler können ganz schön aggressiv werden, wenn ein Andersdenkender seine Meinung sagt.“

Stau vor der Wahlkabine

Es ist ein Kommen und Gehen im Wahllokal in der Wehofen­er Grundschule. Doch trotz Staus vor der Wahlkabine sei die „Beteiligung im Rahmen des Normalen“, sagt Heinz-Gerd Laakmann, Abstimmungsleiter für den Stimmbezirk 401. Die Duisburger kommen im Sonntagsanzug direkt von der Kirche oder in Jogginghose und Schlappen.

Oder verkleidet als Senftube. Die Wehofen­er Jecken feiern nebenan ihre Herrensitzung. „Sein Wahlrecht sollte man trotzdem in Anspruch nehmen“, sagt ein Karnevalist. Wo er sein Kreuz gemacht hat, mag er nicht verraten, aber: „Sauerland trägt die moralische Verantwortung und hätte diese auch übernehmen müssen.“

So wie der Mann mit dem Plastik-Senfklecks auf dem Kopf möchten auch alle anderen Befragten ihre Namen nicht nennen. „Nicht, wenn es um Sauerland geht“, erklärt ein Wähler. „Die Emotionen kochen unerträglich hoch, die Gesellschaft ist gespalten. Und keine Seite ist für Kompromisse bereit. Wie denn auch?“

Die Nerven liegen blank

Die Nerven liegen blank. „Du hast die Karte falsch geknickt!“ – „Nein, das habe ich nicht!“ – „Doch! Jetzt ist Deine Stimme ungültig und wird nicht gezählt“, raunzt eine ältere Wählerin ihren gereizten Gatten an. Mit roten Köpfen verlassen sie das Wahllokal – sie geht vor, er folgt im Abstand von einigen Metern.

Bessere Laune herrscht da bei einem jüngeren Ehepaar. Es witzelt darüber, dass die Grundschule noch immer weihnachtlich geschmückt ist. Doch beim Thema Sauerland und Loveparade verschwindet das Lächeln aus den Gesichtern. „Wäre Sauerland zeitnah abgetreten, hätten die Angehörigen der Opfer viel besser mit der Sache abschließen können“, sagt der junge Mann ernst. „Wie müssen sich die Eltern der Getöteten gefühlt haben, immer und immer wieder mit der Sache konfrontiert zu werden?“

„Aber er ist doch einer von uns“ – „Das waren die Opfer auch“

Die beiden Duisburger hoffen vor allem auf eines: „Wir brauchen endlich und endgültig Ruhe!“ Sie haben ihr Kreuz am Ende bei „Ja“ gemacht.

Sauerland abwählen? „Aber er ist doch einer von uns“, mischt sich eine Dame ein. „Das waren die Opfer auch.“