Washington/Los Angeles.. Am Samstag wird die Sängerin nach einem Party-Marathon leblos in einer Hotel-Badewanne in Beverly Hills aufgefunden.

Als sie vor zwei Jahren in der O 2-Arena von Berlin weder Ton noch Takt traf und dem Wahnsinn so nahe schien, als sei die Bühne eine geschlossene Anstalt, kam die Frage auf, vor deren Antwort sich viele beim Nachhausegehen fürchteten: Wie lange kann ein mit Übermaß an Talent gesegneter Mensch die in ihm arbeitende Selbstzerstörungskraft bändigen, bis für immer das Licht ausgeht? Whitney Elizabeth Houston ist am Samstagnachmittag in Beverly Hills nach ausgiebigem Party-Marathon leblos in einer Hotel-Badewanne aufgefunden wurden. Mit 48. Die Todesursache bedarf noch der chemisch-medizinischen Bestätigung. Aber weil Fremdverschulden bisher ausgeschlossen wird, Medikamentenmissbrauch und Tod durch Ertrinken dagegen nicht, kann man sie sich bei aller Vorsicht denken.

Whitney Houston starb schon seit über 15 Jahren. Vor aller Augen. Jeden Tag ein bisschen mehr. Da war Amy Winehouse selig noch ein Gör. Niemandem, der sehen wollte, konnte das teuflische Pop-Muster von Aufstieg, Fall, Läuterung, Genesung und erneutem Absturz verborgen bleiben. Zu brutal war ihr freier Fall. Harte, ungesunde Drogen. Noch härtere, ungesündere Menschen. Dazwischen Abgründe im Dutzend. Und das live im Fernsehen. „Ich bin selbst mein schlimmster Feind“, hatte Whitney Houston 2002 in einem legendären Interview gesagt und allen Heissa-ich-bin-wieder-da-Comeback-Versprechungen, die da noch kommen sollten, die Pointe genommen.

Der Aufprall jetzt war eingepreist. Die Erschütterung darüber fällt über Tarif aus. Von Arrangeur-Papst Quincy Jones bis Talkshow-Göttin Oprah Winfrey reichen die Beileidsbekundungen. Präsident Obama wird sich voraussichtlich auch noch äußern. Whitney Houston war in den musikalisch zur Unbedeutsamkeit verdammten 80er-Jahren mit einer der wirkungsmächtigsten Stimmen diesseits des Großen und des Kleinen Wagens gesegnet.

Gänsehaut-Faktor im XXL-Format

170 Millionen verkaufte Platten stehen zu Buche. Houston erst hat Beyonce Knowles, Rihanna, Mariah Carey oder Alicia Keys möglich gemacht. Keiner Sängerin ihrer Zeit und danach ist es gelungen, ein einziges Lied weltweit gleichermaßen zur bevorzugten Hochzeitsmelodie wie zur Tränen rührenden Beerdigungshymne werden zu lassen. „I Will Always Love You“, das makellose unverfängliche Lied von Dolly Parton aus dem Film „Bodyguard“, bei dem Kevin Costner heute noch das Wasser in den Augen steht, ist ein musikgenetischer Fingerabdruck, wie man ihn selten vorfindet.

Eine betörend klar strahlende Stimme, die wie bei dem fast noch schöneren „I Have Nothing“ jeden Oktaven-Sprung übersteht, nimmt es mühelos auf mit bereits an Baptisten-Gospelgesang geschulten Balladen wie „Saving All My Love For You“ und „Greatest Love of All“. Gänsehaut-Faktor XXL.

Houston, wo, bitteschön, ist das Problem?

400 Millionen Dollar hat allein der „Leibwächter“ eingespielt. Sieben Nr.1-Hits kamen im Schlepptau. Weltrekord. Ihre Version der amerikanischen National-Hymne ließ 1991 beim Super-Bowl-Finale erwachsene Football-Spieler weinen. „One Moment in Time“ wurde drei Jahre zuvor zum offiziellen Lied der Olympischen Spiele. Houston, wo, bitteschön, ist das Problem? Ihrer Begabung, bis dahin von ihrem Entdecker Clive Davis zwar durch einen engen, kommerziellen Kanal geführt, stand die ganze Welt offen.

Dann kam er. Die einst gertenschlanke Frau mit dem hinreißenden Lächeln und der ungezähmten Afrofrisur aus Newark verguckte sich in den völlig falschen Kerl. Bobby Brown. Bis heute ein Synonym für Missbrauch, häusliche Gewalt, Kokain, Crack-Junkie, Knast und Elend auf zwei Beinen. Der ebenso schmierlappige wie untalentierte Rap-Musiker war für Whitney Houston das, was ein Prellbock im Bahnhof für einen heranrasenden Zug ist. Vorbote des nahenden Crashs. Nicht lange und dem Wunderwesen von einst, inzwischen Mutter einer wohlgeratenen Tochter geworden, entglitten nach den regelmäßigen gemeinschaftlichen Drogen-Exzessen die ebenen Gesichtszüge. Und dann Schritt für Schritt das ganze Leben.

Familie ist fassungslos

Ein Rätsel bis heute, warum die Familie ihr keine wirkliche Hilfe sein konnte. Mutter Cissy, ein Gospel-Star, sang schon für Elvis und Mahalia Jackson. Cousine Dionne Warwick und Paten-Tante Aretha Franklin gehören selbst der amerikanischen Aristokratie der Soul- und Popsängerinnen an.

Die mussten’s doch wissen. Ihr dünner Kommentar gestern: Fassungslosigkeit. Die Musikbranche ist längst weiter. Der Grammy-Verleihung am Sonntagabend in Los Angeles wurde ein musikalischer Trauergottesdienst angegliedert. Mit Jennifer Hudson am Mikrofon-Altar. Und im Sommer erscheint „Sparkle“, ein von Whitney Houston mitproduzierter Film über die Karriere der schwarzen Frauen-Gesangstruppe „Supremes“. Deren Galionsfigur, Diana Ross, sollte gestern übrigens auch einen Grammy bekommen. Für ihr Lebenswerk.