Essen. .

Absoluten Schutz wird es nicht geben. Nicht an den Gerichten, aber auch nicht in Firmen, Verwaltungen oder bei großen öffentlichen Veranstaltungen. Das Attentat von Dachau, wo ein 54-jähriger Unternehmer im Gericht den Staatsanwalt erschoss, wird am Sicherheitskonzept für nordrhein-westfälische Gerichte kaum etwas ändern.

„Wir sind erst aus tragischem Anlass tätig geworden“, erinnert Peter Marchlewski, Sprecher des NRW-Justizministeriums, an die Anfänge des 1996 erlassenen Konzeptes. Am 9. März 1994 hatte ein 39-Jähriger, der wegen Körperverletzung verurteilt wurde, im Amtsgericht Euskirchen sechs Menschen erschossen, bevor er selbst durch die Detonation seiner Rucksackbombe starb. Damals begann die Justiz, den Zugang zu ihren Häusern mit Sicherheitsschleusen auszustatten. Nicht noch einmal sollte ein Täter Schusswaffen, Messer oder Bomben ins Gericht bringen.

Diverse Attentate in NRW-Gerichten

Es kommt zu weiteren Attentaten in NRW. Am 6. November 1996 sticht ein 27-Jähriger im Treppenhaus des Bottroper Amtsgerichtes einem Richter, der ihn lange zuvor wegen eines kleineren Deliktes verurteilt hatte, ein Brotmesser in den Oberschenkel. Der Strafjurist überlebt. Dieses Glück hat ein Kollege wenige Kilometer entfernt nicht. Am 7. Mai 1998 erschießt ein 69-Jähriger aus Kassel einen Essener Amtsrichter in dessen Dienstzimmer, tötet sich dann selbst. 17 Jahre zuvor war er von diesem Richter wegen einer Nachbarschaftssache zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Erfolglos hatte er sich dagegen durch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geklagt.

Dieter Oswald, Gerichtspsychiater aus Langenfeld, kennt diese Tätertypen, die ein bürgerliches Leben führen und plötzlich zu unfassbarer Gewalt fähig sind. Oswald: „Es sind oft Typen, so um die 60, die in eine Lebenskrise geraten sind. Sie glauben, alles geht ihnen verloren. Die Leistungsfähigkeit lässt nach, und die persönlich-beruflichen Schwierigkeiten nehmen zu.“ Dann bedarf es nur eines Auslösers: „Wenn eine Kränkung hinzukommt, etwa eine Verurteilung, geraten sie in eine existenzielle Krise und reagieren aggressiv.“ Der Gerichtssaal ist für sie als Tatort wichtig. Oswald: „Sie brauchen ihn als Bühne, um aller Welt zu zeigen, wie ungerecht sie behandelt wurden.“

Alarmknöpfe

Probleme mit aggressiven Kunden kennen auch Sozial- und Ausländerämter, die sich vor dem Bürger nicht verbarrikadieren wollen. Alarmknöpfe am Schreibtisch versprechen Schutz, in Firmen bietet die Empfangspforte Sicherheit. Die NRW-Justiz hat es sich seit 1996 insgesamt 65 Millionen Euro kosten lassen, ihre 227 Gerichte und 43 weiteren Justizeinrichtungen mit Sicherheitsschleusen auszustatten. In 19 kleineren Gerichten, so Ministeriumssprecher Marchlewski, scheitert das an baulichen Gegebenheiten. Dort suchen Justizwachtmeister mit Handdetektoren.

Kosten spielen auch keine Rollen, wenn die Gefahr zuvor bekannt ist. In Essen läuft zur Zeit ein Mordprozess nach einer Libanesenhochzeit mit voll besetztem Zuhörersaal. Als es im Vorfeld hieß, die Opferfamilie wolle Blutrache üben und ausgerechnet im Gericht einen der Angeklagten töten, wurde das Sicherheitskonzept verschärft. Mindestens 50 Polizisten sichern seitdem Saal und Umgebung.

Stäbchen zugeschnitzt

Passieren kann trotzdem etwas, betont Peter Marchlewski: „Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz.“ Das wusste auch ein Vietnamese aus Essen, der es nicht verwinden konnte, dass seine Frau ihn verließ. Er schnitzte hölzerne Essstäbchen von den Asia-Wochen bei McDonald's zu spitzen Waffen zu und überlistete mit ihnen die Sicherheitsschleuse am Landgericht Essen. Vor dem Saal des Familiengerichtes traf er auf den neuen Liebhaber seiner Frau und stach zu. Umstehende überwältigten ihn, bevor Schlimmeres passierte.