Lüttich. Auf seine Nachbarn machte Nordine A., der am Dienstag in Lüttich ein Attentat auf dem Weihnachtsmarkt anrichtete, einen freundlichen Eindruck. Der Mann war vorbestraft wegen Waffen- und Drogenbesitzes. Erst vor einem Jahr wurde er aus dem Gefängnis entlassen.
In jüngster Zeit schien der mehrfach vorbestrafte Attentäter von Lüttich wieder auf den rechten Weg zurückgefunden zu haben. Diesen - falschen - Eindruck hatte zumindest ein Nachbar des gebürtigen Brüsselers Nordine A. Doch am Dienstag richtete der 33-Jährige in der ostbelgischen Stadt ein Blutbad an und tötete sich dabei selbst.
„Er hatte eine feste Freundin, eine Krankenschwester aus Lüttich, die hier auch zu Besuch kam“, sagte Cakti E. der belgischen Zeitung „De Morgen“ über den Attentäter aus seiner Nachbarschaft. „Er schien wieder eine Zukunft zu haben. Er war ein freundlicher Mensch.“ Zudem habe der 33-Jährige sich in Abendkursen weitergebildet. „Mit ihm schien alles gut zu sein“, sagt Cakti E., der nach eigenen Angaben praktisch täglich mit dem Attentäter ein Schwätzchen gehalten hat.
Auf dem Platz Saint-Lambert tötete Nordine A. vier Menschen, 124 wurden verletzt
Auch am Dienstag morgen unterhielt sich Cakti E. mit dem Mann, der dann mittags auf dem Platz Saint-Lambert in Lüttich wild in die Menge schoss, Granaten warf, mindestens vier Menschen tötete und etwa 124 weitere teils schwer verletzte. Eigentlich hatte Nordine A. einen Gerichtstermin, im Justizpalast an dem Platz.
Es ging um ein Sittlichkeitsdelikt. Sein Anwalt sagte der Zeitung „La Libre Belgique“, Anlass sei ein Vorfall an einem Novemberabend gewesen. Sein Mandant habe am Montagnachmittag und am Dienstagmorgen mit ihm telefoniert: „Er fürchtete, wieder ins Gefängnis zu müssen.“
Sein Rucksack war vollgepackt mit Waffen und Sprengstoff
Seinem Nachbarn verschwieg Nordine A. dies. „Er sagte mir nicht, warum sie ihm im Justizpalast erwarteten“, erinnert sich Cakti E. „Als ob es wegen etwas Unwichtigem sei.“ Cakti E. wusste auch nicht, dass sein Nachbar vor dem Amoklauf im Zentrum Lüttichs eine Putzfrau erschossen hatte. Polizisten entdeckten erst später ihre Leiche in einem Lagerraum, den der gelernte Schweißer angemietet hatte.
Nordine A. verschwieg seinem Nachbar auch, dass er seinen Rucksack mit Waffen und Sprengstoff vollgepackt hatte. Statt zu Gericht ging er zu einer Bäckerei auf dem Platz davor, schoss von dort aus auf eine Bushaltestelle und richtete ein Blutbad an. Nur dem heftigen Wind ist es zu verdanken, dass sich nicht noch mehr Menschen auf dem Platz vor dem Gerichtsgebäude tummelten – der Weihnachtsmarkt war wegen des stürmischen Wetters geschlossen.
Nordine A. ist wegen Waffenbesitzes vorbestraft
Dass der 2008 wegen Waffen- und Drogen-Besitzes verurteilte Nordine A. seit langem einen Hang zu Waffen hatte, war nicht nur der Polizei bekannt. Schon als Teenager soll er von Schießgerät fasziniert gewesen sein. Das fanden Reporter von „De Morgen“ heraus, die sich in Grimbergen nördlich von Brüssel umhörten. Ein Mann, bei dem Nordine A. einst Rasen mähte, beschreibt ihn als einen „Jungen mit wenig Chancen“. Nordine A. soll schon früh Waffenbörsen abgeklappert haben. An den Mordapparaten schraubte er herum wie andere Jungen an ihrem Motorrad.
„Aus meiner Sicht ging es ihm nicht ums Schießen“, sagt der Grimberger und erzählt von einem Messebesuch, damals, mit Nordine A. „Er lag mir in den Ohren, ihm doch eine alte Kanonenkugel zu kaufen. Er wollte sie unbedingt haben.“
Die Ermittler vermuteten in Nordine A. einen Waffenhändler
Später besorgte sich Nordine A., inzwischen nach Lüttich umgezogen, eigene Waffen. Das blieb nicht unbemerkt. 2007 geriet er nach einem anonymen Hinweis ins Blickfeld der Polizei und wurde heimlich überwacht. Im Oktober 2007 schlugen die Ermittler dann zu. Sie entdeckten bei dem jungen Mann etwa 2800 Cannabis-Pflanzen und verkaufsfertige Päckchen mit dem Rauschgift.
Sie fanden auch ein Waffenarsenal: Gewehre, Pistolen, Munition. Die Ermittler entdeckten zudem 9500 Teile von diversen Waffen und selbstgebastelte Schalldämpfer. Sie vermuteten, einem Waffen-Lieferanten auf die Spur gekommen zu sein.
Nordine A. kam vor Gericht. Im September 2008 wurde er zu 58 Monaten Gefängnis verurteilt - 42 Monate wegen der Drogen, 16 Monate wegen der Waffen. Er erhielt eine relativ hohe Strafe, da er schon einmal verurteilt worden war – vor etwa zehn Jahren wegen Nötigung und Vergewaltigung. Das Urteil wegen Waffenbesitzes wurde allerdings bei einem Revisionsverfahren aufgehoben.
Vor einem Jahr kam Nordine A. auf Bewährung frei
Sein damaliger Anwalt Dominique Franchimont sagte: „Ich habe ihn nicht als einen Waffennarr empfunden, der Waffen sammelte, um sie dann auch wirklich zu gebrauchen. Dafür hatte ich keinerlei Anzeichen. Ich erinnere mich aber gut daran, dass er sehr böse war, dass er verurteilt wurde und dass er seine beschlagnahmte Waffensammlung nicht zurück bekam.“
Nordine A. musste nicht seine volle Strafe hinter Gittern absitzen. Vor ungefähr einem Jahr kam er auf Bewährung frei - unter der Bedingung, dass er nicht mehr mit Waffen in Berührung kommen sollte. Um diese Bedingung, das zeigte sich am Dienstag in Lüttich, hat sich Nordine A. nicht geschert. Sein Motiv für die Bluttat war bis Mittwoch Abend unklar.