Lakritz – das Süße für Kinder wird zum Genuss für Erwachsene. Im ersten Fachgeschäft Deutschlands gibt's Spezialitäten von Italien bis Island. Und in der Spitzenküche verleiht Lakritz Hirsch und Taube eine feine Note.

Sie verkauft Spinnen, Daumen und Totenköpfe, doch manchmal wünschen Kunden nur den deutschen Klassiker: Schnecken. Rund 400 Sorten Lakritz, in Farbe, Geschmack und Konsistenz unterschiedlich, verkauft Ilse Böge im ersten Fachgeschäft Deutschlands für das kleine Schwarze.

In den Bonbonieren ihres Berliner Lädchens liegen süße Lakritz-Schuhe aus den Niederlanden neben herbsüßem Zitronenlakritz aus Italien und Salz-Salmiaktalern aus Dänemark. „Der Norden isst eher salzig. Im Süden mag das keiner”, erklärt die Expertin. Die Franzosen bevorzugen dagegen eine würzige Note. Und in Mitteleuropa greift man zu milden Sorten.

Wenn überhaupt. Denn traditionell gibt es Lakritz eher in Küstenregionen, die einst gut mit der Grundzutat Süßholz versorgt wurden. Als Ilse Böge zum Studium von Emden nach Berlin zog, kam sie in ein Lakritz-Niemandsland. Die Volkswirtin gab später ihren Job als Unternehmensberaterin auf und investierte in Lakritz. Zunächst auf Wochenmärkten, dann im eigenen Geschäft „Kadó” – seit dem vergangenen Jahr mit neuer Adresse in Kreuzberg.

Bild: Ilja Höpping
Bild: Ilja Höpping © WAZ

Von dort aus reist die 45-Jährige quer durch Europa, bestellt in Belgien und Island, besichtigt kleine Manufakturen. „Die Italiener und die Franzosen machen uns was vor”, beobachtet Böge mit etwas Neid. Da werde noch nach altem Handwerk und Rezept Lakritz hergestellt. Allerdings sind die Menschen dort auch direkt an der Quelle: Die Süßholzpflanze fühlt sich in Ländern wohl, die es im Winter warm haben: Syrien, Indonesien, Mittelmeerländer. Ein Versuch, das Gewächs in einem Berliner Garten zu züchten, ist kläglich gescheitert.

Wie beim Wein

Aber selbst, wenn das Süßholz gut gedeiht, ist die Ernte mühsam. „Sie müssen die Wurzeln so abschneiden, dass die Pflanze weiter wächst”, sagt Ilse Böge. Und dann gibt es wie beim Wein Faktoren, die die Lese beeinflussen: Wie war das Wetter? Gab es viel Sonnenschein? Wie ist der Boden beschaffen? „Experten schmecken den Unterschied.”

Scharfer Ingwer

Das Süßholz-Raspeln beginnt. Die zermahlene Wurzel – sie sieht aus wie eine Zimtstange – wird dann ausgekocht. Böge zeigt einen Block hart gewordenen, tiefschwarzen Lakritzextrakts, so groß wie ein Brotlaib, und so schwer wie fünf. Doch nur wenige Krümel davon benötigt man, um Lakritz-Stangen und -Schnüre herzustellen.

Für den Geschmack kommen dazu Zucker und Gewürze: Minze, Eukalyptus oder auch Lorbeer. Böges Hausmarke enthält scharfen Ingwer. „Das würde ich Anfängern nicht auf die Zunge legen”, sagt Böge lachend. Um Fortgeschrittenen etwas empfehlen zu können, erkundigt sie sich auch nach den Konsistenz-Wünschen. „Je fester ein Lakritz ist desto dichter ist es am Naturlakritz, das ist süß, herb, fast ein bisschen bitterlich.” Das Naturaroma ist ihr wichtig und trotzdem gesteht Böge: „Bei mir muss ein Lakritz knautschen.” Typisch deutsch.

Stärke, Gelatine oder Gummi Arabicum machen das Lakritz weich. Zum Schluss wird das süße Stück auf Hochglanz poliert – mit Anis oder Bienenwachs. Fertig.

Pferdeblut ist ein Mythos

„Dass Lakritz Pferdeblut enthält, ist ein Mythos”, betont Böge. Die schwarze Farbe entstehe durch den pflanzlichen Kohlenstoff. Für Lebensmittel ist die Farbe Schwarz ja eher ungewöhnlich. (Es sei denn, das Essen ist angebrannt.) „Wegen der Farbe finden Japaner wohl auch Lakritz so dubios”, hat Ilse Böge in ihrem Geschäft beobachtet. In Asien gebe es Lakritz gar nicht.

Bei Ilse Böge gibt es Lakritz eigentlich immer. Warum nicht auf Eis? Mit Lakritzstreusel aus Schweden. „Schmeckt aber auch auf heißem Apfelmuß.” Und dann geht's so weiter: „Eine Prise Lakritzpulver an Salat oder Spagetti, lecker.” Bei dem Gedanken an ein Lakritzrisotto lächelt sie verzückt. Nur bei „Terva” sieht Ilse Böge schwarz. Die Lakritz-Pastillen aus Skandinavien haben ein strenges Birkenaroma: Die Finnen räuchern nicht nur Lachs, sondern auch Lakritz.

Mehr zum Thema: