Rheinberg/Werne. . Streit um das Jobwunder Amazon: Neue Mitarbeiter an den Standorten Rheinberg und Werne müssen zunächst in eine zweiwöchige Trainingszeit - bezahlt vom Jobcenter. SPD und Verdi reagieren empört.

Ihren Namen nennen sie nicht. Doch ihr Mitteilungsbedürfnis ist groß. Wer im Internet die Stichworte „Amazon“ und „Arbeitsbedingungen“ eingibt, findet viele Stimmen von Betroffenen, die bei dem amerikanischen Internethändler arbeiten – unter anderem in den beiden neuen Logistikzentren für NRW in Rheinberg und Werne. Und die empört sind: über den Druck, der auf die Beschäftigten ausgeübt werde, über das Anordnen von Nachtschichten und Überstunden, kurzum, über den Umgang mit den Angestellten.

„Ganz miese Methoden, die da herrschen“, heißt es, und dass die Bedingungen „unter aller Sau“ seien. Auch über die Praxis, dass Bewerber, die über die Arbeitsverwaltung vermittelt wurden, ein unbezahltes Praktikum machen müssen, bevor über ihre Weiterbeschäftigung entschieden wird, haben sie eine feste Meinung: Für sie ist das eine Form der „modernen Sklaverei“.

In Rheinberg, wo man in den nächsten drei Jahren 1000 langfristige und 2000 saisonale Arbeitsplätze schaffen will, „ist der Ruf angekommen“, sagt Rainer Bischoff. Der Duisburger ist arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD im Landtag. „Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir das gut beobachten.“ Dass Amazon in Werne schon mehrere Hundert Arbeitslose zwei Wochen ohne Bezahlung beschäftigt hat, war ihm indes neu. „Bei solch einer Systematik ist das juristisch angreifbar“, kommentiert er. „Ich hoffe, dass Verdi seinen Mitgliedern Rechtsschutz gibt, bei dem Versuch, gegen solch eine Praxis zu klagen.“

Der stellvertretende Leiter des Jobcenters Kreis Unna, Thomas Neuhaus, mag die Aufregung indes nicht verstehen. „Die Menschen, die dort hingehen, machen das freiwillig. Es zwingt sie niemand dazu – aber sie haben die Möglichkeiten, danach endlich einen Arbeitsplatz zu finden“, betont er. Das Jobcenter vermittle Arbeitskräfte, die seit Jahren keine Chance auf dem Arbeitsmarkt gehabt hätten. „Für uns ist Amazon mit 3000 zusätzlichen Arbeitskräften in Spitzenzeiten ein arbeitsmarktpolitischer Lotto-Gewinn!“ Ähnlich argumentiert auch Peter Glück, Chef der Arbeitsagentur im Kreis Wesel und damit für das Rheinberger Amazon-Lager zuständig. Dass das Unternehmen Praktika vorschalte, sei nicht ungewöhnlich und für beide Seiten von Vorteil: „Es geht darum, den potenziellen Arbeitgeber beziehungsweise Arbeitnehmer kennenzulernen.“

Arbeitsagenturen stellen sich quer

Und dieses Kennenlernen wird gerade bei Langzeitarbeitslosen von der Arbeitsverwaltung offenbar wohlwollend unterstützt. Der Arbeitgeber muss die intern MAG („Maßnahme beim Arbeitgeber“) genannte, maximal vier Wochen lange Förderung beantragen – „und in der Regel wird sie dann auch genehmigt“, sagt ein Arge-Mitarbeiter.

Doch seit Anfang des Monats stellen sich die für die Amazon-Läger in NRW zuständigen Arbeitsagenturen quer. „Weil die Arbeitszeit bis Ende des Jahres befristet ist, fällt die Einarbeitungszeit weg und die Leute bekommen direkt einen Arbeitsvertrag“, erklärt Peter Glück. Noch deutlicher wird sein Kollege Uwe Ringelsiep, Chef des Jobcenters im Kreis Unna.

In den Monaten November und Dezember werde die Praktikumspraxis ausgesetzt, weil man Amazon das Weihnachtsgeschäft nicht durch billige Arbeitskräfte durch die Hintertür subventionieren wolle. Auch bei der Arbeitsagentur in Hamm bestätigt man diese Auffassung: „Das ist vollkommen richtig, das kann ich nur unterstreichen“, sagt Pressesprecher Martin Seiler. „Wir beteiligen uns nur, wenn dem Arbeitnehmer auch wirklich etwas beigebracht werden soll, was er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwerten kann. Das ist bei der sehr kurzen Befristung zum Weihnachtsgeschäft nicht der Fall.“

Keine dauerhaften Jobs

„Das ist schon mal ein guter Anfang“, kommentierte Verdi-Sprecherin Christiane Scheller die neue Regelung. Doch bei der Gewerkschaft hat man grundsätzlich Probleme mit den Praktika: „Der Vorteil für die Arbeitsvermittler ist, dass sie mehr Striche für eine erfolgreiche Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt machen können.“ Der Nachteil sei: „Der Beitrags- und Steuerzahler finanziert es.“ Er zahle die kostenlosen Arbeitskräfte und trage damit zur Gewinnmaximierung des Unternehmens und der Aktionäre bei. „Das kann für ein Unternehmen, das wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen kann, nicht richtig sein.“

Wichtig sei Verdi noch ein weiterer Aspekt: „Nach unserem Wissen werden dadurch keine dauerhaften Arbeitsverhältnisse geschaffen, sondern gang und gäbe ist es bei Amazon insgesamt, nur kurze befristete Verträge (über Wochen oder Monate) zu schaffen“, betonte Scheller. Selbst im Sommer eingestellte Mitarbeiter haben nach NRZ-Informationen durchweg Verträge, die maximal bis Ende Januar laufen. „Eine planbare Zukunft ist so für die Betroffenen nicht möglich.“

Die Anfrage, warum das Unternehmen, das mehrfach betont hatte, an beiden Standorten mittelfristig Hunderte Arbeitsplätze zu schaffen, zumindest derzeit so massiv auf befristete Jobs setze, ließ die Amazon-Sprecherin bis Freitagabend offen. Sie erklärte lediglich: „Je nach Geschäftsentwicklung“ könnten es in jedem der Logistikzentren mehrere Hundert Mitarbeiter sein, „die im Anschluss an das Weihnachtsgeschäft weiterhin beschäftigt werden könnten – dies zeigen Erfahrungswerte aus der Vergangenheit.“