Wiesbaden. 300 Experten arbeiten in der „Hexenküche“ der Fahnder, in der, daran erinnert man sich gerne, auch Kujaus Hitler-Tagebücher als Fälschung des Jahrhunderts entlarvt wurden. Uwe Schleenbecker ist einer von ihnen.

November 1998. Bei Venlo macht ein Niederländer eine furchtbare Entdeckung. Am Straßenrand liegt die Leiche einer jungen Frau. Die Gerichtsmedizin diagnostiziert: Sie war schwanger, als jemand sie erdrosselte. Unter den Fingernägeln findet man in Hautfetzen die DNA ihres Mannes. Der Togolese lebt in Wuppertal. Er war nie in Venlo, sagt er im ersten Verhör. Die DNA? Er könne sie erklären. Seine Frau habe ihm noch kürzlich Pickel entfernt. Die Ermittler glauben ihm nicht wirklich. Aber ihre Indizien reichen nicht. Selbst der Kofferraum seines BMW ist stubenrein. Unter einer Matte aber liegt ein Stileichenblatt. Es kommt in eine Plastiktüte, und bleibt da sechs Jahre.

Der gestreckte Bau in Wiesbadens Äppelallee ist eine Festung. Stahlschranken sichern sie. Wer rein will, wird durchleuchtet, bekommt einen Sicherheitsmann als Begleiter. Ein Fremder, alleine im Gelände? Das geht gar nicht. Hier ist das Kriminaltechnische Institut des Bundeskriminalamtes. Hinter seinen Mauern lagern 9000 Schusswaffen aller Kaliber. Es gibt die größte Sammlung gängiger europäischer Autolacke und ein 800 000 Euro teures Gerät, das kleinste Moleküle untersuchen kann.

300 Experten arbeiten in der „Hexenküche“ der Fahnder, in der, daran erinnert man sich gerne, auch Kujaus Hitler-Tagebücher als Fälschung des Jahrhunderts entlarvt wurden. Uwe Schleenbecker ist einer der dreihundert.

Schleenbecker ist kein Polizist. Er ist Biologe. Er hat sechs Jahre nach der Tat den Tod der jungen Frau aufklären können, deren Leiche 1998 in Venlo lag. Der Täter war tatsächlich ihr Mann. Der Tatort war die Wuppertaler Wohnung der Eheleute. Beweis war die Spur 102: Das Eichenblatt. Mit BKA-Mitarbeitern und weiteren der Uni Marburg gelang es dem Biologen in akribischer Detailarbeit, das Blatt genetisch zu entschüsseln und – ein Förster half – dem Baumbestand an der Grenze zuzuordnen. Schleenbecker stellte fest: Anders als bei Geranien („Vergessen Sie Geranien“) ist die Eichen-DNA ein Unikat. Keine zwei Stileichen auf der Welt haben denselben Code.

Das Blatt im Kofferraum stammte von einem Baum in Venlo. Der Togolese musste dort gewesen sein. Konfrontiert mit dem Ergebnis brach er bei einer neuen Befragung zusammen. Er gestand. Das Landgericht Wuppertal verurteilte ihn 2006 wegen Totschlags zu acht Jahren.

Mit Sherlock Holmes hat die Arbeit an der Äppelallee also nicht mehr viel zu tun. Hier müssen sie eine ganze Bandbreite von Technologien beherrschen – von Physik über Linguistik bis Chemie. Ab und an können sie nur noch „gegenhalten“: Als das erste Thermopapier in den Kassen der Verbrauchermärkte auftauchte, war kein Bon mehr kriminalistisch nutzbar, unter der üblichen chemischen Mixtur, mit der die Polizei Fingerabdrücke sichtbar macht, wurde es schwarz. Die Wiesbadener ließen ihre Chemiker von der Leine. Sie fanden eine neue, bei Thermo wirksame Substanz: Inon. Jetzt sind Abdrücke wieder brauchbar.

Bald der Katzen-Test

Die DNA-Analyse bleibt die Königsdisziplin des Instituts. Eva Schultheiss, Sachverständige für Humanspuren, listet eine lange Latte erfolgreicher „Barcode“-Anwendungen auf: 1982, als zum ersten Mal in Mainz mit Hilfe eines Bluttropfens in einem Handtuch ein Mörder identifiziert wurde. 1987, als es in Großbritannien den ersten Massen-Gentest von 5000 Männern gab. 1990, als der Bundesgerichtshof den Abgleich der DNA eines Menschen als Beweismittel im Strafverfahren zuließ. Später klärte ein Rottweiler-Haar eine Gewalttat.

Was an Hunden geht, geht auch an Katzen, glaubt Uwe Schleenbecker. Er lässt gerade ihre Eignung zur Tatklärung untersuchen. Gehört das an den Tatort verschleppte und aufgefundene Katzenhaar dem Tier eines Verdächtigen?

„Wir haben acht Millionen Katzen in Deutschland“, sagt der Biologe. Welche Perspektive! Holmes wäre begeistert.