Paris. Nach dem Mord an einer Joggerin debattiert das Nachbarland intensiv über die Möglichkeiten, Verbrechen von rückfälligen Straftätern zu verhindern. Es geht um Arzneimittel, die den Trieb ausbremsen. Wer ihrer Einnahme zustimmt, soll im Gegenzug Haftverkürzung erhalten.

Hätte der Mord an Marie-Christine Hodeau vermieden werden können? Das ist eine Frage, die seit Wochen die Gemüter in Frankreich erhitzt. Denn die 42 Jahre alte Joggerin, die in einem Wald bei Fontainebleau erdrosselt aufgefunden wurde, ist offenbar das Opfer eines rückfällig gewordenen Sexualstraftäters. Längst hat sich der Fall Hodeau zu einem Politikum entwickelt. Auf Drängen des Staatspräsidenten arbeitet Justizministerin Michèle Marie Alliot an einem Gesetz, das in Zukunft die Chemische Kastration verurteilter Straftäter ermöglichen soll.

"Anti-Androgene" gegen den Trieb

Den Sex-Tätern werden dann so genannte "Anti-Androgene" verabreicht: Arzneimittel, die den männlichen Sexualtrieb spürbar bremsen sollen. Geht es nach den Plänen der französischen Regierung, basiert das Gesetz auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Wer sich mit der Therapie einverstanden erkläre, könne vorzeitig aus der Haft entlassen werden. Die umgekehrte Konsequenz: Lehnen Straftäter die Chemische Kastration ab, müssen sie ihre Haftstrafe weiterhin im Gefängnis verbüßen.

Bei dem mutmaßlichen Mörder der Joggerin handelt es sich um Manuel R. (47), der eigentlich noch bis 2013 hinter Gittern sitzen sollte. Denn 2002 hatte der Familienvater ein 13 Jahre altes Mädchen aus der Nachbarschaft vergewaltigt und dafür eine elfjährige Haftstrafe erhalten. Wegen guter Führung und positiver Prognose entließen sie den Sex-Täter bereits im März 2007 gegen Auflagen aus der Haftanstalt. "Es ist absolut inakzeptabel, dass dieser Sexualstraftäter auf freien Fuß gesetzt wurde", empört sich nun Frankreichs Innenminister Brice Hortefeux.

Viagra für den Sex-Täter

Ebenso schockierend ist der Fall des pädophilen Sex-Täters Francis Evrard, der seit gestern im nordfranzösischen Douai erneut vor Gericht steht. Der 63-jährige Wiederholungstäter war im Juli 2007 aus der Haft entlassen worden, nachdem er eine 20-jährige Strafe wegen der Vergewaltigung eines acht Jahre alten Jungen verbüßt hatte. Nur einen Monat später wurde er erneut rückfällig, er entführte den fünf Jahre alten Enis und verging sich an ihm. Peinlich am Fall Evrard: Im Juni 2007, also wenige Tage vor seiner Entlassung, ließ er sich von einem Gefängnisarzt noch Viagra verschreiben, obwohl dieser die Akte Evrard sehr genau kannte. In einem spektakulären Brief an Staatschef Nicolas Sarkozy bat Francis Evrard vor zwei Wochen nun um eine Radikal-Therapie: "Bitte kastriert mich".

Während konservative Regierungskreise sowie Law-and-Order-Politiker auf eine rasche Verschärfung der Gesetze dringen, warnen anderen vor Panikmache. Wie etwa Pierre Lamothe, der den Medizinisch-Psychiatrischen Dienst der Gefängnisse in der Region Lyon leitet. Die Mehrheit der Straftäter akzeptiere die angebotenen Therapien, betont der Psychiatrie-Professor gegenüber der Zeitung "Le Parisien": "Lasst uns aufhören mit der Manie, auf jedes Verbrechen mit einem neuen Gesetz zu reagieren." Auch der Chemischen Kastration tritt Pierre Lamothe mit großer Skepsis entgegen. "Es handelt sich dabei um eine Ausnahme-Behandlung, die sich lediglich auf ein Prozent der verurteilten Straftäter anwenden lässt." Den Politikern in Paris ruft der Experte deshalb zu: "Lasst uns unsere Arbeit machen."