Longyearbyen. Im August wurden auf Spitzbergen Rekordtemperaturen von 18,1 Grad gemessen. Und erstmals ist nicht nur die Nordostpassage nördlich von Russland, sondern auch gleichzeitig die Nordwestpassage im Norden Kanadas für Schiffe problemlos befahrbar. Folgen des Klimawandels.

In den Geschäften des norwegischen Spitzbergen sind T-Shirts in diesem Spätsommer knapp geworden. Die rund 1000 Kilometer nördlich des norwegischen Festlandes liegende Arktis-Insel heißt auf norwegisch eigentlich Svalbard – die kühle Küste. Eisbären-Land.

Seltsam mutete das Treiben an der Küste der größten Ortschaft Longyearbyen in diesem Spätsommer an. Da springen Norwegerinnen im Bikini ins Wasser, man sonnt sich in Liegestühlen am Schiefersteinstrand. Erst Ende August meldete die Wetterstation des „größten Arktislabors der Welt“ – wie Spitzbergen aufgrund der zahlreichen Forschungsstationen zur Erkundung des Nordpols auch genannt wird – Rekordtemperaturen von bis zu 18,1 Grad im August!

Nicht nur der kälteerprobte Touristenführer Steinar Rorgemoen staunt. Auch die Arktis-Kapitäne wundern sich. Nur acht Tage brauchte etwa der Tanker „STI Heritage“, um im Juli durch die Nordostpassage zu gelangen. Die Fahrt entlang der Nordküste Russlands direkt durch die Arktis wurde nicht – wie sonst üblich – durch dickes sommerliches Packeis zur Slalomfahrt. Erstmals ist nicht nur die Nordostpassage nördlich von Russland, sondern auch gleichzeitig die Nordwestpassage im Norden Kanadas problemlos befahrbar. Seit Beginn der Messungen mit Satelliten im Jahr 1979 wurde nie weniger See-Eis registriert.

Die dänische Reederei „Møller-Mærsk“, die eine große Containerflotte betreibt, untersucht derzeit mit Testfahrten die Chancen, die der Klimawandel an alternativen Schiffsrouten bietet. Bereits in diesem Sommer hat ein Konvoi aus Tankschiffen, die Erdgas vom russischen Murmansk über die sibirische Küste nach Thailand transportierte, die Nordostpassage benutzt. „In diesem Sommer waren beide Routen gleichzeitig so weit geöffnet, dass es für große, vollbeladene Suezkanal-Frachtschiffe mehr als gereicht hätte“, sagt Peter Wadhams, Arktis-Eis Experte der Universität Cambridge.

Öl und Gas ausbeuten

Von Großbritannien aus ist die 7500 Seemeilen lange Nordostpassage über Russlands Nordküste nach Japan und China nur knapp halb so lang wie der traditionelle Seeweg über das Mittelmeer und den Indischen Ozean. Die Nordwestpassage, die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet, verkürzt den Seeweg von New York nach Fernost erheblich. Prognosen gehen davon aus, dass beide Passagen innerhalb der nächsten zehn Jahre in den Sommermonaten völlig eisfrei sein werden.

Umweltschutzorganisationen fordern bereits die Einrichtung einer internationalen Schutzzone für das Nordpolarmeer, bevor der Gier kein Einhalt mehr geboten werden kann. Doch in den Arktis-Anrainerstaaten USA, Kanada, Russland, Norwegen, Dänemark und Island gibt es dafür wenig Gehör. Der amerikanische Exxon-Konzern und der russische Staatskonzern Rosneft haben gerade ein milliardenschweres Abkommen unterzeichnet. Sie wollen die in der russischen Arktis liegenden Öl- und Gasvorkommen gemeinsam ausbeuten.