New York. Hurrikan „Irene“ hat böse zugeschlagen: Mehrere Tote, darunter ein Kind, das im Bett seiner Mutter liegend, von einem Baum getroffen wird. Teile des New Yorker Stadtteils Manhattan stehen unter Wasser. Stromausfälle in Washington.
Erst verfärbt sich der Himmel grün-grau, dann zucken Blitze durch die Nacht. Gefolgt von Donnern, die furchterregend laut durch die engen Häuserschluchten grollen. Dann setzt kräftiger Regen ein, der die altersschwache Kanalisation der 8,5 Millionen Einwohner-Metropole schnell überfordert. Kurz bevor das Auge des Hurrikans New York erreicht, fegen Windböen mit bis zu 100 Stundenkilometer zwischen den Wolkenkratzern her. Abgebrochene Äste und Müll verwandeln sich in gefährliche Geschosse. Scheiben zerbersten.
Am Sonntagmorgen, auf dem Höhepunkt der Gezeiten, treten der Hudson- und East-River über die Ufer. Das schäumende Wasser spült in die angrenzenden Nachbarschaften von Lower Manhattan. Fluten dringen in eine Röhre des Holland-Tunnels ein, der für den Verkehr geschlossen werden musste. Die Verantwortlichen in New York fürchten, das Wasser könnte die Wall Street und Ground Zero erreichen.
Die New Yorker folgen weitgehend den dringlichen Appellen ihres Bürgermeisters Michael Bloomberg, nicht auf die Straßen zu gehen. Die U-Bahn-Schächte sind verschlossen, Busse fahren nicht mehr. Luxuskaufhäuser wie Bergdorf Goodman und Saks haben ihre Auslagen vernagelt. Aus Sorge vor Plünderern.
„Wir feiern die biblischen Plagen“
Sicherheitshalber evakuierte die Stadt mehr als 370 000 Einwohner, die in niedriger gelegenen Nachbarschaften leben. Evelyn Burrus in Brooklyn blieb. „Ich gehe doch nicht mit Wildfremden in eine Notunterkunft und hole mir die Bettläuse“, erklärt die 60-Jährige trotzig.
Neben vernagelten Geschäften laden offene Restaurants zum „Hurrikan-Brunch“ ein. „Erst das Erdbeben, jetzt der Hurrikan, wir feiern die biblischen Plagen“, flachst ein junger New Yorker, der zu einer „Hurrikan-Party“ über die Straße huscht.
Obwohl die Behörden „Irene“ im Laufe des Tages auf einen Tropischen Sturm herabstufen, warnt Bürgermeister Bloomberg, sich in falscher Sicherheit zu wiegen. Das Problem bleibe das Wasser, das weiter steige, nachdem der Sturm am Nachmittag weiter Richtung Norden gezogen sei. „Das ist genau der Zeitpunkt, wenn es kritisch wird.“ Bei Redaktionsschluss ließ sich nicht abschätzen, wie groß der Schaden am Big Apple wirklich ist, den der schwerste Sturm seit „Gloria“ 1985 angerichtet hat.
Nationalgarde sorgt für Sicherheit
Eine erste Bestandsaufnahme an den weiter südlich gelegenen Bundesstaaten entlang der Ostküste, die das Wüten „Irenes“ schon früher am Samstag erlebten, zeigt, dass der Hurrikan eine Spur der Verwüstung hinterlassen hat. Mehrere Menschen starben durch den Hurrikan. Die meisten durch altersschwache Bäume, deren Wurzelwerk dem Sturm nicht mehr standhalten konnten. Besonders tragisch ist der Tod eines elfjährigen Jungen in Newsport News im US-Bundesstaat Virginia. Der Kleine war aus Angst vor dem Sturm in das Bett seiner Mutter gekrabbelt. Ein umgestürzter Baum schlug durchs Dach der Wohnung und tötete ihn. Die Mutter blieb unverletzt.
Mindestens drei Millionen Einwohner der Ostküste blieben am Sonntag ohne Strom. Darunter Teile Washingtons, das sonst glimpflich davonkam.
Die Fluggesellschaften strichen mehr als 9000 Flüge. In New York blieben die drei internationalen Flughäfen geschlossen. Der Schaden dürfte sich auf mehrere hundert Millionen US-Dollar belaufen. US-Präsident Barack Obama war aus seinem Urlaub in Martha’s Vineyard ins Weiße Haus zurückgekehrt. Er unterzeichnete eine Notfall-Deklaration für neun Bundesstaaten.
Mehrere tausend Angehörige der Nationalgarde sorgten neben der Polizei, Feuerwehr und den Rettungshelfern für Sicherheit.
Vorboten für stärkere Aktivitäten
Klimaforscher sehen in „Irene“ einen Vorboten für stärkere Sturmaktivitäten. „Der Zusammenhang zwischen atlantischen Hurrikans und dem Klimawandel ist ziemlich überzeugend,“ meint Kerry Emmanuel vom renommierten „Massachusetts Institute of Technology“ in Boston. Stürme seien ein Weg der Natur, mit höheren Temperaturen umzugehen.
Einzelne Wissenschaftler wie etwa Thomas Knutson wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen. „Kurzfristig sehe ich den Trend auch“, so Knutson. Aber es gebe nicht genügend Daten, um eine Voraussage für die Zukunft zu machen. Das größere Problem sei die dichte Bebauung der Küsten, die Schäden durch Hurrikans enorm in die Höhe getrieben habe.