Essen/Zangberg. .
Auf dem jüngsten Foto ist Yvonne nicht gut getroffen. Was daran liegen könnte, dass es nur ihr überbordendes Hinterteil zeigt und noch dazu verwackelt ist. Nicht gerade schmeichelhaft für eine Dame. Aber sie ist ja auch auf der Flucht. Vor dem Schlachter, vor dem Metzger, vor dem Tierarzt mit seinem Betäubungsgewehr – überhaupt vor der ganzen Menschheit. Seit zweieinhalb Monaten schon ist Yvonne, diese Kuh, dauerunterwegs. Sie schleicht sich durch Bayern, versteckt sich im Wald. Sämtliche Versuche, das kaffeebraune Tier einzufangen, sind gescheitert. Der ganze Landkreis Mühldorf ist in heller Aufregung. Nur Yvonne nicht.
„Alle sind erschöpft und traurig, dass sie Yvonne nicht finden konnten. Das scheue Tier weiß ja nicht, dass wir ihm helfen wollen“, sagt Michael Aufhauser, Gründer der Tierschutzinitiative Gut Aiderbichl. Die deutsch-österreichische Organisation hat die Kuh gekauft, um sie zu retten. So wie sie es schon mit über 2000 anderen Tieren gemacht hat, die auf 20 Höfen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ihr Gnadenbrot bekommen. Yvonne wird nicht als Frikadelle enden. Bloß ist das noch nicht bei ihr selbst angekommen.
Es ist der 24. Mai, als das Tier von der Koppel eines bayerischen Bauern abhaut. Es scheint, als ahne es, dass bald sein letzten Stündchen schlagen soll. Der Schlachter hat schon alles angerichtet. Er wartet auf das Tier. Und wartet und wartet. Yvonne ist auf und davon. Seitdem lebt sie in einem Wald etwa 30 Kilometer von der Grenze zu Österreich entfernt, ausgestattet mit den Instinkten eines Wildtieres. „So ein Tier stellt sich schnell um. Nach 14 Tagen in Freiheit kann es wieder auf die Veranlagungen seiner Ur-Ahnen vertrauen“, sagt Tierschützer Aufhauser. Heißt: Yvonne kann gut für sich selbst sorgen. Sie möchte nichts mehr von einem Bauern serviert bekommen, sondern entscheidet allein, was es zu futtern gibt. Mais und Gras vom Waldesrand, dazu wechselnde Wasserstellen. Die Kuh wird satt.
Der George Clooney
unter den Stieren
Immer wieder wird sie gesehen. Aber bevor die Fallen zuschnappen oder die Fänger zugreifen können, hat sie sich wieder in Luft aufgelöst. „Sie ist die schlaueste Kuh der Welt“, sagt Michael Aufhauser und übertreibt vielleicht. Fest steht, dass Eichhörnchen, Hase und Reh derzeit auf der eigenen Freilichtbühne nur eine Nebenrolle spielen. Der Star ist die Kuh.
Was haben sie schon alles versucht, um das pfiffige Vieh zu fangen. Tierärzte sind mit Betäubungsspritzen auf die Pirsch gegangen, ein 60 Mann starker Suchtrupp hat das 25 Hektar große Gebiet durchkämmt, Hunde haben hinter Yvonne hergeschnüffelt. Letzter Fahndungserfolg: ein frischer Kuhfladen. Immerhin. Yvonnes Verdauung scheint zu funktionieren. Inzwischen wird Zangberg von Journalisten aus den USA, aus Kanada und ganz Europa belagert. Sie alle starren in den Wald, in der Hoffnung, eine Kuh, scheuer als jedes Reh, vor die Linse zu bekommen.
Zuletzt hatten die Tierschützer Yvonnes Schwester Waltraud und das Kälbchen Waldi als Lockvögel zwischen die Bäume geschickt. Doch selbst von der eigenen Familie wollte Yvonne nichts wissen. Jetzt setzen sie auf die Liebe. Wenn schon das Betäubungsgewehr sein Ziel verfehlt, dann soll wenigstens Amors Pfeil treffen: Am Mittwoch soll Stier Ernst in den Wald gebracht werden. „Er ist unwiderstehlich, so etwas wie der George Clooney unter den Stieren“, sagt Michael Aufhauser. Wie er Yvonne gefällt, wird sich zeigen. Womöglich brennen sie am Ende beide durch.